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Zeit, gehört zu werden (German Edition)

Zeit, gehört zu werden (German Edition)

Titel: Zeit, gehört zu werden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Knox
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dass mich die Ermittler in Verwirrung versetzt hatten und dass ich nicht den Mut aufgebracht hatte, mich den Behörden entgegenzustellen, als sie den Namen eines Mörders von mir verlangten.
    Während des ersten Prozesses glaubte ich, meine Unschuld wäre offensichtlich. Meine Unschuld hatte mich nicht gerettet, und ich würde vielleicht nie wieder die Gelegenheit haben, mich an Patrick und die Kerchers zu wenden. Dieses Mal war ich entschlossen, mir selbst zu helfen.

32
    11. Dezember 2010 – 29. Juni 2011
    N otgedrungen müssen wir von der einzigen wirklich gesicherten, unwiderlegbaren und objektiv beweisbaren Tatsache ausgehen: Am 2. November 2007 wurde kurz nach ein Uhr mittags in der Via Pergola Nummer 7 in Perugia die Leiche der britischen Studentin Meredith Kercher entdeckt.«
    Mit diesen Worten eröffnete der beisitzende Richter Massimo Zanetti mein Berufungsverfahren.
    Dieser Prozess wirkte wie ein Aufguss des ersten. Er fand im zweiten Untergeschoss in der Freskenhalle statt, mit denselben Leuten auf denselben Plätzen. Die 140 anwesenden Journalisten stellten dieselben Fragen. »Sind Sie optimistisch?« – »Möchten Sie etwas dazu sagen?« Einer rief: »Schicke Schuhe!«
    Alles ist wie damals, dachte ich. Außer mir. Ich habe mich verändert. Mir ist nun bewusst, dass alles, was ich tue und sage, meine Kleidung und jede Regung meines Gesichts einen Einfluss auf den Ausgang des Verfahrens haben wird, zum Guten wie zum Schlechten .
    Voller Angst trat ich über die Schwelle.
    Als ich mich das letzte Mal in diesem Saal befand, musste man mich hinaustragen.
    Madison, meine Mutter und Chris saßen zusammen. Ich schenkte ihnen ein vorsichtiges, kaum wahrnehmbares Lächeln. Alles andere hätte wieder für eine strahlende Amanda in den Schlagzeilen gesorgt.
    Die Auswahl meiner Kleidung schien mir ein armseliges Kriterium für die Entscheidung darüber zu sein, ob ich zweieinhalb Jahrzehnte oder mehr im Gefängnis verbringen würde, doch ich konnte es mir nicht leisten, durch einen lässigen Kleidungsstil negativ aufzufallen. Rocco und Corrado hatten Laura Geld gegeben, damit sie mir Sachen kaufte, in denen ich vor Gericht erscheinen konnte. Sie entpuppte sich als ausgezeichnete persönliche Einkäuferin. Meine champagnerfarbene Bluse und die schwarze Hose signalisierten den Richtern meine Achtung vor ihnen und dem Gesetz.
    Auch Raffaeles Aussehen hatte sich verändert, aber ich weiß nicht, ob er damit an die Schöffen appellieren oder sein Selbstvertrauen stärken wollte. Seit wir uns vor dreiundfünfzig Wochen das letzte Mal gesehen hatten, hatte er zugenommen und trug jetzt das Haar kurz geschnitten. Ich dagegen hatte so viel an Gewicht verloren, dass eine der Wachen, die mich am Arm packten, bemerkte: »Devete mangiare di più!« – »Sie müssen mehr essen!«
    Die Eröffnungsworte der Richter ließen uns hoffen, dass sie einen Prozess auf der Grundlage von Tatsachen anstelle von Theorien führen würden. Werden wir endlich ein faires Verfahren bekommen? Werden uns die Richter und die Schöffen endlich anhören?
    Ich stand auf, um meine Erklärung abzugeben, an der ich wochenlang gefeilt hatte. Ohne Dolmetscher, auf Italienisch. Meine Hände zitterten.
»Es war ein Irrtum von mir anzunehmen, es gebe den falschen oder richtigen Ort oder Moment, um etwas Wichtiges zu sagen. Wichtige Dinge müssen gesagt werden, ohne Wenn und Aber … Merediths Familie und Freunden möchte ich versichern, wie leid es mir tut, dass Meredith nicht mehr unter uns weilt. Ich maße mir nicht an zu wissen, wie Sie sich fühlen, aber auch ich habe jüngere Schwestern, und der Gedanke daran, dass sie leiden müssten oder ich sie verlieren könnte, erfüllt mich mit Entsetzen.«
    Da die Familie Kercher nicht anwesend war, sprach ich zu den Schöffen. Und obwohl ich mich verzweifelt bemühte, nicht zu weinen und damit von meiner Botschaft abzulenken, stockte mir bei der Erwähnung meiner drei Schwestern die Stimme.
»Was Meredith zugestoßen ist und was Sie durchmachen müssen, ist unfassbar und unerträglich. Es tut mir leid, dass so etwas Schreckliches geschehen ist und dass Sie Meredith verloren haben, wo sie doch an Ihrer Seite sein sollte. Das ist nicht gerecht und kann niemals relativiert werden. Mit Ihren Gedanken an Meredith sind Sie nicht allein, denn auch ich erinnere mich an Meredith, denke an Sie, Ihre Angehörigen, und teile Ihren Schmerz. Meredith war liebenswürdig, intelligent, nett und immer hilfsbereit. Sie war eine

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