Zeit, gehört zu werden (German Edition)
mich meine Anwälte immer wieder. »Nur Mut.«
Als Richter Hellmann heraustrat, um seine Entscheidung zu verkünden, presste ich mit angehaltenem Atem Lucianos Hand und duckte mich instinktiv, als wollte ich einem schmerzhaften Schlag ausweichen.
»Ich bin überzeugt, dieser Fall ist so komplex, dass einer Überprüfung wegen ›begründeten Zweifels‹ stattzugeben ist«, teilte Richter Hellmann der gespannten Zuhörerschaft mit. »Falls es nicht möglich ist, die Herkunft der DNA festzustellen, werden wir die Zuverlässigkeit der ursprünglichen Tests überprüfen lassen.«
Maria del Grosso aus Carlos Kanzlei drückte mir aufgeregt die Hand. Weder meinen Anwälten noch mir selbst gegenüber hatte ich zugeben wollen, wie sehr die Angst mich gelähmt hatte. Erst als die Entscheidung gefallen war, wurde mir meine starke Anspannung bewusst. Ich wischte mir die Tränen fort. Vielleicht haben wir doch noch eine reelle Chance, uns zu verteidigen .
Aber ich war immer noch argwöhnisch. Auch der Richter der ersten Instanz hatte unserem Ersuchen um Informationen stattgegeben und dann die Interpretation der Anklage gestützt.
Danach galt es wieder zu warten. Die unabhängigen Gutachter, Dr. Carla Vecchiotti und Dr. Stefano Conti, Professoren für Rechtsmedizin an der römischen Universität La Sapienza, wurden vereidigt, und Richter Hellmann beauftragte sie, herauszufinden, ob eine erneute Analyse der DNA-Spuren auf dem Messer und dem BH-Verschluss möglich sei. Falls nicht, wollte er wissen, ob die ursprünglichen Ergebnisse der forensischen Expertin auf Klägerseite zuverlässig seien: War die Interpretation der DNA-Profile korrekt? Bestand das Risiko der Verunreinigung? Die Gutachter hatten von dem Tag an, an dem ihnen die Anklage die Beweisstücke übergab, drei Monate Zeit.
Während sich die Fachleute an die Arbeit machten, begann Richter Hellmann mit der Befragung der neuen Zeugen, die er zugelassen hatte.
In der ersten Instanz hatte Staatsanwalt Mignini Antonio Curatolo in den Zeugenstand gerufen, einen Obdachlosen, der als »der Trittstein zum Mörder« bezeichnet wurde. Curatolo hatte bezeugt, gesehen zu haben, wie sich Raffaele und ich auf dem Basketballplatz an der Piazza Grimana gestritten hatten. Unserer Überzeugung nach war das eine entscheidende Aussage, da sie unserem Alibi, wir hätten Raffaeles Wohnung nicht verlassen, widersprach. Es war allerdings unklar geblieben, welche Nacht Curatolo beschrieben hatte – Halloween oder den 1. November?
Curatolo wurde erneut als Zeuge aufgerufen, diesmal jedoch lagen die Umstände anders. Der einst Obdachlose befand sich nun wegen eines Drogendelikts selbst in Haft. Genau wie Raffaele und ich betrat er flankiert von zwei Wachen den Gerichtssaal. Im Zeugenstand gab er an, in der fraglichen Nacht hätten sich »viele junge Leute in Faschingskostümen« vergnügt. »Auf den Straßen waren viele Menschen unterwegs. Es war ein Feiertag.« Die Jugendlichen konnten mit speziellen Bussen zu den Diskotheken außerhalb der Stadt fahren.
»Sie sagen also, in der Nacht, in der Sie Raffaele und Amanda gesehen haben, waren die Leute maskiert, und es gab Busse?«, fragte Raffaeles Anwältin Giulia Bongiorno.
Aus Sicht der Verteidigung passte diese Beschreibung eindeutig auf Halloween, nicht auf den 1. November, einen offiziellen Feiertag, an dem die Clubs geschlossen hatten und keine Shuttlebusse fuhren.
Doch Curatolo hatte außerdem ausgesagt, dass er am Tag, nachdem er Raffaele und mich auf der Piazza Grimana beobachtet hatte, carabinieri und weiß gekleidete Männer gesehen hatte – »Marsmenschen« nannte er die Kriminaltechniker in ihren weißen Schutzanzügen. Da die Spurensicherung die Villa am 2. November durchkämmt hatte, musste Curatolo Raffaele und mich am 1. November gesehen haben.
»Also, am Tag, nachdem Sie Raffaele und Amanda gesehen hatten, hielten sich Polizisten und Männer in weißen Schutzanzügen bei der Villa auf?«, fragte Staatsanwalt Mignini.
»Das weiß ich so sicher, wie ich hier sitze«, erwiderte Curatolo dem Berufungsgericht.
Der Staatsanwalt und die Anwälte der Nebenklage beharrten darauf, dass auch am 1. November 2007 einige Discos geöffnet hatten und Busse auf der Piazza Grimana verkehrten.
Gott sei Dank gestattete das Gericht unseren Anwälten, neue Zeugen aufzurufen – die Manager von Perugias großen Diskotheken traten in den Zeugenstand. Halloween, so erklärten sie, sei »die wichtigste Nacht des Jahres«. Eine Zeugin vom Red
Weitere Kostenlose Bücher