Zeit, gehört zu werden (German Edition)
Zone, wo ich mit Meredith und den Jungs vom Untergeschoss gewesen war, bekräftigte: »Am 1. November gab es keine Busse. Da bin ich mir ganz sicher, denn Discos konzentrieren sich auf Halloween. An dem Tag ist irre viel los, es ist wie an Silvester.«
Bei der Befragung durch die Richter erzählte Curatolo seine persönliche Geschichte: »Früher war ich Anarchist, aber das Studium der Bibel hat einen christlichen Anarchisten aus mir gemacht.« Er bestätigte, dass er im Augenblick im Gefängnis sitze, und fügte hinzu: »Ich verstehe allerdings nicht ganz, weswegen.« Auf die Frage, ob er 2007 Heroin konsumiert habe, entgegnete er: »Ich nehme schon immer Drogen, möchte jedoch hiermit klarstellen, dass Heroin kein Halluzinogen ist.«
Ich hatte eine Erklärung vorbereitet, verzichtete aber darauf, sie abzugeben. Curatolo bemühte sich nach Kräften, seine Zeugenaussage zu verpatzen und die Staatsanwaltschaft vorzuführen, die ihn immer noch als »entscheidenden« beziehungsweise »Superzeugen« bezeichnete.
An diesem Abend konnte ich zu Hause anrufen. Meine Mutter, Chris und Madison waren in Perugia, aber ich rief jede Woche daheim an, um mit meinen Schwestern, Oma, meinen Tanten, Onkels, Vettern und Kusinen und einigen Freunden vom College zu sprechen. Nach einem Begrüßungschor fragten sie sofort: »Wie ist es gelaufen?«
Zwar hatten sie die Nachrichten gesehen, wollten es aber von mir persönlich hören.
»Curatolo hatte keine Ahnung, wovon er redete, der Ärmste. Wenn mein Leben nicht davon abhinge, dass er unrecht hat, würde er mir einfach nur leidtun«, berichtete ich.
»Hier im Fernsehen haben sie gesagt, er sei nur ein verwirrter Drogenabhängiger!«, rief jemand.
Was für eine Ironie, dass ich von meiner Familie in Seattle erfahren musste, was die Journalisten im Gerichtssaal dachten. »Die Medien sind auf eurer Seite«, versicherten mir meine Familienangehörigen. »Diesmal wird es gut ausgehen.«
Die Medien, ja. Aber was ist mit den Richtern und den Schöffen? Auch in der ersten Instanz war Curatolo alles andere als überzeugend gewesen, und dennoch hatte seine Aussage entscheidend zu unserer Verurteilung beigetragen. Alles hing von einer unabhängigen Untersuchung ab.
Bei Telefonaten, im Gespräch mit Besuchern, in meinen Briefen, aufgemuntert durch meine Lieben, ließ ich zu, dass die Zuversicht die Oberhand über Angst und Zweifel gewann. Doch die meiste Zeit war ich allein. Ich war eine Gefangene. Bis endlich jemand meine Zelle aufschloss und mir bestätigte, dass ich die erstickende Enge der Zelle verlassen dürfe, konnte ich nur hoffen. Die letzten dreieinhalb Jahre jedoch hatte mich die Hoffnung im Stich gelassen.
Im Januar, als Richter Hellmann die unabhängigen Gutachter Conti und Vecchiotti vereidigt hatte, wurden ihnen neunzig Tage eingeräumt, um das forensische Material zu analysieren und ihre Ergebnisse dem Gericht zu unterbreiten. Sobald die Staatsanwaltschaft die Beweise übergab, sollte die Uhr laufen.
Die Verteidigung hatte schon im Herbst 2008 zum ersten Mal forensisches Datenmaterial von der Staatsanwaltschaft angefordert, aber die DNA-Analytikerin Patrizia Stefanoni hatte sich auch den Anweisungen eines zweiten Richters widersetzt. Sie hatte der Verteidigung einige, aber nicht alle Informationen übergeben.
Nun mussten Conti und Vecchiotti versuchen, des von ihr interpretierten Originalmaterials habhaft zu werden, um Schlüsse aus den DNA-Spuren am Messer und am BH-Verschluss zu ziehen. Stefanoni argumentierte immer wieder, diese Informationen seien unwichtig. Erst am 11. Mai fügte sie sich Richter Hellmanns Anordnung.
Nun brauchten die unabhängigen Gutachter mehr Zeit. Meine Anwälte versicherten mir, Richter würden immer die Frist verlängern, wenn Experten darum ersuchten. Bevor sich das Gericht zurückzog, um darüber zu entscheiden, gab ich eine Erklärung ab. »Ich sitze seit mehr als dreieinhalb Jahren unschuldig im Gefängnis«, appellierte ich an das Gericht. »Es ist frustrierend und psychisch belastend. Auf keinen Fall möchte ich für den Rest meines Lebens unschuldig im Gefängnis sitzen. Ich erinnere mich an die Anfänge des Falles, als ich noch frei war und wie jung ich damals war und wie wenig ich verstanden habe. Aber nichts ist wichtiger, als nach so vielen Vorurteilen und Fehlern die Wahrheit herauszufinden. Ich bitte das Gericht, den Gutachtern mehr Zeit einzuräumen, damit diese eine gründliche Analyse durchführen können. Ich danke
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