Zeit, gehört zu werden (German Edition)
Ihnen.«
Manchmal ermahnte mich Luciano, es sei nicht nötig, sich so oft zu Wort zu melden. Ich interpretierte dies dahingehend, dass es Zeiten gab zu schweigen und Zeiten zu reden. Von meinen Anwälten hatte ich bereits im Voraus erfahren, dass die unabhängigen Gutachter um Aufschub bitten würden, also versuchte ich mir vorzustellen, was das für mich bedeutete. Weitere fünfundvierzig Tage hießen, dass das Berufungsverfahren vermutlich den ganzen Sommer dauern würde. Mit der Wartezeit arrangierte ich mich, indem ich mir sagte, dass weitere eineinhalb Monate erträglich waren, wenn ich im Gegenzug verhindern konnte, mein ganzes Leben hinter Gittern zu verbringen. Mir war es wichtig, genau dies den Richtern und den Schöffen zu vermitteln.
Nach einer kurzen Beratung entschieden Richter Hellmann und das Gericht, den Doktoren Zeit bis zum 30. Juni einzuräumen.
Ungefähr eine Woche später wurde meinem Optimismus ein jäher Dämpfer versetzt. Jedes Jahr findet in Umbrien ein Tag der Polizei statt, an dem traditionell ein Preis für herausragende Polizeiarbeit vergeben wird. Perugia ist die Hauptstadt der Region.
Als Luciano zu unserem wöchentlichen Mittwochstreffen ins Capanne kam, erzählte er mir, dass den Beamten der squadra mobile für die Aufklärung des Mordes an Meredith ein Sonderpreis verliehen worden war.
Die Begründung lautete: »In Anerkennung für hervorragende berufliche Qualifikation, scharfsinnige Ermittlungsarbeit und eine ungewöhnlich entschlossene Vorgehensweise. Die sorgfältige Ermittlung führte zur Ergreifung der Täter, die den Mord an der britischen Studentin im historischen Zentrum von Perugia verübt hatten.«
Vier der sechzehn Polizeibeamten, die den Preis erhielten, waren in der Verleumdungsklage der Polizei gegen mich namentlich genannt. Dazu gehörten der Leiter der Ermittlungsgruppe, Marco Chiacchiera, dessen »investigative Intuition« ihn dazu veranlasst hatte, aufs Geratewohl in Raffaeles Küchenschublade zu greifen und ausgerechnet die Mordwaffe mitzunehmen, die Leiterin der Mordkommission, Monica Napoleoni, und die Polizeiinspektorin Rita Ficarra.
Diese Nachricht entfachte meinen Zorn. Natürlich war es nur ein erneuter Versuch der Polizei, das Gesicht zu wahren. Wie konnten sie Beamte ehren, die mich während der Vernehmung geschlagen, die alles verbockt und skrupellos gelogen hatten?
Aber es überraschte mich nicht. Es lag auf einer Linie mit der Taktik der Anklage, meine Unterstützer und mich zu diffamieren.
Mignini hatte meine Familie, Freunde und Unterstützer als »Clan« bezeichnet und damit Assoziationen zur Mafia geweckt. Er hatte meinen Eltern eine Verleumdungsklage angehängt, weil sie gegenüber einer britischen Zeitung erzählt hatten, dass ich während meiner Vernehmung geschlagen worden war. Auch mich hatte Mignini wegen Verleumdung der Polizei angeklagt.
Die Journalisten hatten begonnen, über die Ermittlungsfehler Buch zu führen. Die meisten hatte die Ermittlungsgruppe begangen, indem sie sich eher auf Intuition verließ als auf Beweise. Auch Luciano und Carlo hatten in ihrem Schlussplädoyer unter dem Motto »gut Ding will Weile haben« darauf hingewiesen, unter welchem Druck die Polizei stand, einen Verdächtigen zu präsentieren, und wie so etwas leicht zu Ermittlungsfehlern führen kann.
Der britische Journalist Bob Graham interviewte Mignini für einen Artikel in der Sun, der am Tag der Polizei erschien. Mignini verriet Graham, er wähle die Teile meiner Vernehmung aus, die seinen Zwecken dienten. Ebenso gab er zu, dass meine Dolmetscherin in jener Nacht in der questura »eher Ermittlungsbeamtin denn Dolmetscherin« gewesen sei. Als Graham den Staatsanwalt fragte, warum es keine Beweise für meinen Aufenthalt in Merediths Zimmer gebe, erwiderte Mignini: »Theoretisch könnte Amanda von einem anderen Zimmer aus zum Mord angestiftet haben.«
Fehlerhaft oder nicht, die Botschaft der Polizei war kristallklar: Wir werden nicht aufgeben.
Ich konzentrierte mich auf das Geschehen im Gerichtssaal, wo weitere Zeugen aussagten.
Mario Alessi, ein Maurer, der 2006 für den Mord an einem kleinen Jungen lebenslänglich erhalten hatte, saß im selben Gefängnis wie Rudy Guede ein. Er schrieb an Raffaeles Anwalt, er habe Informationen zu unserer Verteidigung:
Am 9. November befand sich Alessi laut seiner Aussage mit einigen anderen Häftlingen, darunter Rudy Guede, beim Hofgang. »Guede wollte mich in einer vertraulichen Sache um Rat bitten«, gab er
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