Zeit, gehört zu werden (German Edition)
vor Gericht zu Protokoll. »Wir hatten täglich Kontakt … In diesem Zusammenhang erzählte mir Guede am 9. November 2009, dass demnächst, am 18. November 2009, sein Berufungsverfahren stattfinden werde und er darüber nachdenke, die Wahrheit über den Mord an Meredith Kercher zu sagen. Vor allem wollte er von mir wissen, welche Konsequenzen es für ihn haben könnte, wenn er eine Aussage machte, die ein völlig neues Licht auf die Geschehnisse in der Mordnacht werfen würde. Ich entgegnete, ich sei kein Jurist und könne ihm kaum raten, aber meiner Meinung nach sei es sinnvoll, die Wahrheit zu sagen. Also vertraute er sich mir an und beschrieb, was in der Mordnacht geschehen war. Guede erzählte mir, er und ein Freund hätten Meredith ein paar Tage vor dem Mord zufällig in einer Bar getroffen.«
In der Nacht auf den 1. November hatten die beiden Männer demnach Meredith überraschend in der Villa besucht und »ihr deutlich zu verstehen gegeben«, dass sie Lust auf einen flotten Dreier hätten.
Alessi sagte aus, Meredith habe »diesen Vorschlag strikt abgelehnt. Sie stand auf und verlangte, Guede und sein Freund sollten das Haus verlassen. Zu diesem Zeitpunkt bat Guede, die Toilette benutzen zu dürfen, wo er eine Weile blieb, vielleicht zehn bis höchstens fünfzehn Minuten. Als er danach das Zimmer wieder betrat, fand er eine komplett neue Situation vor. Meredith lag rücklings am Boden, sein Freund hielt sie an den Armen fest. Rudy spreizte ihr die Beine und begann zu masturbieren. Während Guede mir dies erzählte, wirkte er sehr betroffen und war den Tränen nahe …
Weitere Details seines Geheimnisses verriet er mir dann später … An einem bestimmten Punkt wechselten er und sein Freund die Position, das heißt, sein Freund versuchte, Meredith zum Oralsex zu zwingen, während sich Guede hinter ihr befand. Er führte genau aus, dass sein Freund vor der knienden Meredith stand, während er selbst sein Knie in ihren Rücken stemmte. Kercher wehrte sich heftig …
Kercher versuchte sich zu befreien, doch in diesem Moment zog Guedes Freund ein Messer mit elfenbeinfarbenem Griff aus der Hosentasche. Bei ihrem Versuch zu fliehen verletzte sich Kercher an der Klinge. Als Guede sah, dass sie blutete und auch seine Hände blutüberströmt waren, ließ er sie los. Während er sich bemühte, die Blutung mit Kleidungsstücken zu stillen, fuhr ihn sein Freund an: ›Los, machen wir sie fertig. Sonst müssen wir noch wegen dieser Hure im Knast verrotten.‹ Dann tötete sie der Freund, indem er mehrmals auf sie einstach. Guede sammelte Kleidungsstücke zusammen und drückte sie auf die Wunden. Als er jedoch merkte, dass sie nicht mehr atmete, floh er.
Nach dem Mord ging Guede in einen Nachtklub, wo er seinen Freund, den Mörder, wiedertraf. Der gab ihm Geld und empfahl ihm, aus Italien zu fliehen. Auf meine Frage erwiderte Guede, er könne nicht sagen, ob es das Geld gewesen sei, das Kercher gestohlen worden war. Ich fragte Guede auch, wie er das zerbrochene Fenster und den Stein in Kerchers Wohnung erklären könne, aber Guede antwortete nur, dass er während seines Aufenthalts im Haus kein Geräusch gehört habe und auch nichts über das Fenster wisse.«
Als Alessi Guede vorschlug, die Wahrheit zu sagen, »weil zwei Menschen unschuldig im Gefängnis sitzen … antwortete Guede, dass sicher nicht er derjenige gewesen sei, der sie ins Zentrum gerückt habe, sondern die Anklage … Ich kann mich auch an ein Vorkommnis in Zelle 11 erinnern. Außer Rudy Guede waren Antonio De Cesare und Ciprian Trinca anwesend, zwei andere Häftlinge. Wir spielten Karten, und im Fernsehen kam wieder etwas über den Mord an Meredith. Gerade wurde Luca Maori, Raffaele Sollecitos Verteidiger, interviewt, und Guede machte eine Bemerkung über Sollecito.« … Guede meinte, da er nicht dieselben Möglichkeiten zur Verteidigung habe wie Sollecito, sei er der Leidtragende.
Während ich Alessis Zeugenaussage lauschte, saß ich wie festgefroren auf meinem Stuhl. Mein Körper fühlte sich taub an. Alessi sprach ruhig, ohne Umschweife und überzeugend. Kann es sich in der Nacht auf den 1. November tatsächlich so abgespielt haben? Musste Meredith so qualvoll sterben? Dreieinhalb Jahre lang hatte ich versucht, mir den Mord an Meredith vorzustellen, und musste doch gleichzeitig jeden Gedanken daran verbannen. Als der Staatsanwalt Raffaele und mich in sein Szenario des Tathergangs einbezog, hatte mich das längst nicht so mitgenommen. Wir waren
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