Zeit, gehört zu werden (German Edition)
für Sie:) Hat Raffaele gelogen?
2. Warum habe ich an Patrik gedacht?
3. Sind die Beweise für meine Anwesenheit zum Zeitpunkt und am Ort des Verbrechens zuverlässig? Wenn ja, was heißt das für mein Gedächtnis? Ist es zuverlässig?
4. Gibt es irgendwelche anderen Beweise, die Patrik oder eine andere Person belasten?
5. Wer ist der WAHRE Mörder? Das ist besonders wichtig, weil ich nicht glaube, dass meine Aussage in diesem Fall von ausschlaggebender Bedeutung sein kann.
Ich bin jetzt bei klarerem Verstand als zuvor, aber mir fehlen noch immer Teile, und ich weiß, das ist schlecht für mich. Aber dies ist die Wahrheit, und so denke ich momentan. Bitte schreien Sie mich nicht an, weil es mich nur noch mehr verwirrt, und das nützt keinem. Mir ist klar, wie ernst die Lage ist, und darum möchte ich Ihnen diese Informationen so bald und so verständlich wie möglich zukommen lassen.
Falls es immer noch Dinge gibt, die keinen Sinn ergeben, bitte fragen Sie mich. Ich tue mein Bestes, genau wie Sie. Bitte glauben Sie mir zumindest in diesem Punkt, obwohl ich es verstehe, wenn Sie es nicht tun. Ich weiß nur, dass ich Meredith nicht getötet habe, und darum habe ich außer Lügen nichts zu befürchten.
Ich hörte auf zu schreiben und gab Ficarra die Blätter. »Das ist ein Geschenk für Sie« – »un regalo«, sagte ich. Das Wort für Erklärung fiel mir nicht ein.
»Wieso«, sagte sie, »habe ich Geburtstag?«
Ich fühlte mich erheblich leichter. Ich wusste, dass mich keine Schuld traf, und ging fest davon aus, dass das jedem klar war. Es hatte bloß ein Missverständnis gegeben, das ich nun ausgeräumt hatte.
Ich war auf der Seite der Polizei und darum sicher, dass sie auch auf meiner war. Wie hätte ich ahnen können, dass ich meine Lage gerade verschlimmert hatte? Ich kapierte nicht, dass die Polizei mich als brutale Mörderin betrachtete, die ihre Schuld eingestanden hatte und sich nun aus einem mühsam errungenen Geständnis herauszuwinden versuchte.
Mein memoriale änderte nichts.
Kaum hatte ich es Ficarra gegeben, wurde ich auf den Flur direkt vor dem Verhörraum gebracht, wo sich zahlreiche Polizisten um mich scharten. Ich erkannte den pubblico ministero Giuliano Mignini, den ich noch immer für den Bürgermeister hielt.
Ein Polizist stand kerzengerade vor mir und las mir meine Rechte vor – auf Italienisch, sodass ich nur einen Teil davon verstand. Mir wurden Handschellen angelegt. Eine dritte Person hielt mich am Oberarm fest. »Sie sind verhaftet«, hörte ich. »Wir bringen Sie ins Gefängnis.«
So groggy und konfus ich war, diese förmlichen Worte erschreckten mich. » Was tun Sie?!«, fragte ich aufgeregt, mit erhobener Stimme. Ich verstand nicht, was das bedeuten sollte.
Ich wusste, sie behielten mich da, um mich zu beschützen. Aber weshalb mussten sie mich verhaften? Und warum mussten sie mich ins Gefängnis bringen? »Gewahrsam«, hatte ich mir vorgestellt, hieß vielleicht, dass ich ein Zimmer in der questura bekam. Dass meine Mutter dort bei mir sein konnte.
Heute ist mir unbegreiflich, dass ich kaum reagierte. Mir kam immer noch nicht in den Sinn, dass ich einen Anwalt verlangen sollte – oder einen brauchte. Ich nahm an, dass es für einen Anwalt zu spät war, nachdem ich nun meine Zeugenaussage unterschrieben hatte. Das Einzige, was mich beschäftigte, war die Unterscheidung zwischen echten Erinnerungen und meinen Fantasien. Ich war in mir verloren, versuchte mich an alles zu erinnern, was Raffaele und ich in der Mordnacht getan hatten – Stunde für Stunde, Minute für Minute –, damit ich es der Polizei erzählen konnte. Im Kopf ließ ich meine Vernehmung immer wieder ablaufen. Ich begriff nicht – oder konnte nicht begreifen –, in welchen Schwierigkeiten ich steckte.
Falls man mir jemals erklärte, dass ich des Mordes verdächtigt wurde, so hörte oder verstand ich es nicht. Ich hörte: »Es ist nur für ein paar Tage«, »bürokratische Gründe«, »Wir haben alles im Griff«.
»Okay«, sagte ich automatisch. In der Nacht hatte ich hart für mich gekämpft; jetzt war ich total passiv. Ich hatte keine Kraft mehr.
Dennoch schockierte mich, was als Nächstes geschah. Nach meiner Verhaftung wurde ich nach unten gebracht, in einen Raum, in dem ich mich vor einem Arzt, einer Krankenschwester und ein paar Polizistinnen nackt ausziehen und die Beine spreizen musste. Ich schämte mich meiner Nacktheit und meiner Periode, war frustriert und hilflos. Der Arzt inspizierte die
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