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Zeit, gehört zu werden (German Edition)

Zeit, gehört zu werden (German Edition)

Titel: Zeit, gehört zu werden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Knox
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Capanne abgenommen hatte, waren diese Stiefel das, wovon ich mich am schwersten trennen konnte. Mein Stiefvater Chris hatte mir zu meinem neunzehnten Geburtstag sein altes GPS überlassen und beigebracht, es zu benutzen, indem er mich auf eine digitale Schnitzeljagd mitnahm. Schließlich landeten wir in einem Outdoor-Laden, wo ich mir mein Geschenk aussuchen durfte – die Stiefel, auf die ich mehr als ein Jahr lang scharf gewesen war. Ich trug sie fortan zum Wandern und Bergsteigen und kombinierte sie mit einem Rock oder Kleid, wenn ich meinen ganz eigenen Modestil vorführen wollte. In diesen Stiefeln hatte ich das Gefühl, unbesiegbar zu sein, nicht etwa gefährlich, wie die Wärterinnen mir zu verstehen gaben. Ja glaubten sie denn, ich würde jemanden mit der eckigen Kappe ans Schienbein treten oder versuchen, mich an den dünnen Schnürsenkeln aufzuhängen?
    »Haben Sie noch andere Schuhe?«, fragte mich die große, kräftige Wärterin. Sie hatte ein kantiges Kinn, pflaumenrot gefärbte Haare und hieß Lupa. Häftlinge durften Wärterinnen allerdings nur mit agente oder assistente ansprechen.
    »Nein, die Polizei hat meine Turnschuhe mitgenommen«, sagte ich. »Dafür haben sie mir die hier aus meinem Haus gebracht. Wieso sollten sie mir meine Stiefel geben, nur damit sie mir drei Stunden später wieder weggenommen werden?«
    Die andere Wärterin, eine kleine, korpulente Blondine, fummelte weiter in meiner Büchertasche herum. Später erfuhr ich, dass meine Mitinsassinnen ihr den Spitznamen Cinema verpasst hatten, weil sie wie in Zeitlupe sprach. »Von dem Zeug hier werden Sie nichts mit reinnehmen dürfen«, erklärte sie energisch.
    Alles, was ich brauchte, war in dieser Tasche – mein Geldbeutel, mein Pass, mein Tagebuch.
    »Was ist mit meinen Lehrbüchern?«, fragte ich in bittendem Ton. »Ich habe doch Unterricht. In ein paar Tagen bin ich wieder in meinem Kurs. Und da will ich nicht hinterherhinken.«
    »Bei Ihrer Entlassung können Sie die Sachen aus dem Lager anfordern«, sagte agente Lupa.
    Ich konnte nicht fassen, was da vor sich ging. Die Polizei hatte mir gesagt, ich käme in Sicherheit, und dann war ich hier einfach abgeladen worden. Aber warum? Man hatte bereits mein Handy und meine Turnschuhe beschlagnahmt, und jetzt nahmen mir die Gefängnisbeamtinnen die Sachen ab, die ich immer bei mir hatte – die Dinge, die mich identifizierten. Ohne Geld, Kreditkarte, Ausweis, Pass fühlte ich mich total verletzlich.
    Die nächsten Anweisungen machten alles noch schlimmer. »Jacke, Hose, Hemd, Socken«, kommandierte Cinema mit ausgestreckter Hand.
    Ich drehte den Kopf weg, während ich die geliehenen Klamotten Stück für Stück auszog: Raffaeles Trainingshose, sein Hemd und seine Jacke, seine weißen Sportsocken.
    Die Kälte wanderte vom Betonboden durch meine bloßen Füße hoch. Wärmesuchend schlang ich die Arme um mich und wartete – ja, worauf? Was würde als Nächstes kommen? Bestimmt würden sie mir keine Uniform geben, wo ich doch ein besonderer Fall war. Es wäre unsinnig, da ich nur so kurz im Gefängnis bleiben würde.
    »Ihren Slip und BH bitte«, sagte Lupa. Sie war höflich, geradezu freundlich, aber es handelte sich trotzdem um einen Befehl.
    So stand ich also zum zweiten Mal an diesem Tag nackt vor Fremden da. Ich krümmte mich, einen Arm zum Schutz über meinem Busen, und fühlte mich meiner Würde völlig beraubt. Meine Augen füllten sich mit Tränen. Cinema fuhr mit den Fingern um das Gummiband der mit Periodenblut befleckten roten Unterhose, die ich vor ein paar Tagen mit Raffaele bei Bubble gekauft hatte – in dem Glauben, demnächst würde ich mit meiner Mutter richtig shoppen gehen.
    Mom wird außer sich sein. Ob sie immer noch am Bahnhof wartet? Oder in Perugia herumwandert auf der Suche nach mir? Ob sie bei der Polizei angerufen hat, um mich zu finden? Ob sie weiß, dass ich hier bin?
    »In die Hocke«, befahl Lupa.
    Ich sah sie verwirrt an.
    Sie lächelte aufmunternd und beugte die Knie, um mir vorzuführen, was ich tun sollte. »Verstehen Sie?«
    Unter den Blicken der beiden Frauen hockte ich mich hin. Im Gegensatz zu denen in der questura waren sie zumindest nett. Fast kamen sie mir vor wie zwei entfernte Tanten, die mich anteilnehmend betrachteten und im selben Ton mit mir sprachen, wohl wissend, dass das, wozu sie mich aufforderten, unerträglich demütigend war.
    Woran ich mich klammerte, während ich nackt dahockte und mich vor Scham wand, war der Gedanke, dass man mich

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