Zeit, gehört zu werden (German Edition)
lieber schnell«, sagte sie. »Wir müssen los.«
Wenn ich die Polizisten dazu bringen konnte, mich zu verstehen, war bestimmt wieder alles in Ordnung. Ich setzte mich hin und kritzelte vier Seiten voll, die als mein erstes memoriale bekannt wurden:
Dies ist sehr seltsam, das weiß ich, aber die Geschehnisse sind für mich wirklich genauso verwirrend wie für alle anderen. Man hat mir gesagt, es gebe unumstößliche Beweise, dass ich zum Zeitpunkt der Ermordung meiner Freundin am Tatort gewesen sei. Ich möchte bekräftigen, dass ich das für unmöglich gehalten hätte, wenn man mich vor ein paar Tagen danach gefragt hätte.
Ich weiß, Raffaele hat mich belastet, indem er ausgesagt hat, ich sei in der Nacht von Merediths Ermordung nicht bei ihm gewesen, aber ich möchte Ihnen Folgendes erklären. In meinem Kopf gibt es Dinge, an die ich mich erinnere, und Dinge, die verworren sind. Trotz der Indizien, die gegen mich sprechen, lautet meine Version dieser Geschichte so:
Am Donnerstag, dem 1. November, habe ich Meredith das letzte Mal in meinem Haus gesehen, als sie gegen drei oder vier Uhr nachmittags wegging. Raffaele war zu diesem Zeitpunkt bei mir. Wir – Raffaele und ich – blieben noch etwas länger bei mir, und gegen fünf Uhr nachmittags gingen wir zu ihm, um uns dort den Film Die fabelhafte Welt der Amélie anzusehen. Nach dem Film erhielt ich eine Nachricht von Patrik [sic], in dessen Gaststätte Le Chic ich arbeite. Er erklärte mir, ich müsse an diesem Abend nicht zur Arbeit kommen, weil niemand dort sei.
Jetzt erinnere ich mich, dass ich ihm folgende Antwort geschickt habe: »Bis später. Ich wünsche dir einen schönen Abend!« Für mich heißt das nicht, dass ich ihn gleich treffen wollte. Insbesondere, weil ich »einen schönen Abend« schrieb. Ich weiß, was danach passiert ist, stimmt nicht mit Raffaeles Aussage überein, aber das ist es, woran ich mich erinnere. Ich sagte Raffaele, dass ich an diesem Abend nicht arbeiten müsse und zu Hause bleiben könne. Danach haben wir in seinem Zimmer zusammen relaxt, glaube ich, vielleicht habe ich meine E-Mails gecheckt. Vielleicht habe ich gelesen oder gelernt, oder vielleicht habe ich mit Raffaele geschlafen. Tatsächlich denke ich, ich habe mit ihm geschlafen.
Ich gebe jedoch zu, dass dieser Zeitabschnitt ziemlich seltsam ist, weil ich nicht ganz sicher bin. Wir haben Marihuana geraucht, und es kann sogar sein, dass ich eingeschlafen bin. Was diese Dinge betrifft, bin ich nicht sicher, und ich weiß, sie sind wichtig für den Fall und um mir selbst zu helfen, aber in Wirklichkeit glaube ich nicht, dass ich viel getan habe. Ich erinnere mich jedoch an eins, nämlich dass ich mit Raffaele geduscht habe, und das könnte erklären, wie wir die Zeit verbracht haben. In Wahrheit weiß ich nicht mehr genau, welcher Tag es war, aber ich weiß noch, dass wir ausführlich geduscht und uns gewaschen haben. Er hat mir die Ohren gesäubert, er hat mir die Haare getrocknet und gekämmt.
Zu den Dingen, die in der Nacht von Merediths Ermordung zweifelsfrei geschehen sind, gehört auch, dass Raffaele und ich ziemlich spät gegessen haben, ich glaube gegen elf Uhr abends, obwohl ich das nicht mit Bestimmtheit sagen kann, weil ich nicht auf die Uhr geschaut habe. Nach dem Essen ist mir aufgefallen, dass Raffaele Blut an der Hand hatte, aber ich hatte den Eindruck, dass es Blut von dem Fisch war. Als wir fertig waren, hat Raffaele den Abwasch gemacht, aber die Rohre unter seiner Spüle gingen kaputt, und es lief Wasser auf den Boden. Da er keinen Mopp hatte, sagte ich, wir könnten morgen sauber machen, weil wir (Meredith, Laura, Filomena und ich) zu Hause einen Mopp haben. Ich weiß noch, es war sehr spät, weil wir beide sehr müde waren (obwohl ich die Uhrzeit nicht angeben kann).
Das Nächste, woran ich mich erinnere, ist, dass ich am Morgen des 2. November, einem Freitag, gegen zehn Uhr vormittags aufgewacht bin und mir eine Plastiktüte geholt habe, um meine schmutzigen Sachen nach Hause mitzunehmen. Als ich dann allein dort ankam, stellte ich fest, dass die Haustür weit offen stand, und damit ging alles los. Was mein »Geständnis« von letzter Nacht anbelangt, so möchte ich klarstellen, dass ich sehr an der Wahrheit meiner Aussagen zweifle, weil sie unter dem Druck von Stress, Schock und extremer Erschöpfung erfolgten. Man hat mir nicht nur erklärt, ich würde verhaftet und für dreißig Jahre ins Gefängnis gesteckt, sondern ich wurde auch auf den Kopf
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