Zeit, gehört zu werden (German Edition)
Abenteuer entwickeln würde.
Während ich diese Insider-Informationen sammelte, fühlte ich mich eher als Beobachterin denn als Teilnehmerin. Sobald ich alles mit persönlichem Abstand wahrnahm, fand ich es weniger unangenehm, jedes Mal, wenn ich pinkeln ging oder duschte oder mich nur aufs Bett legte, von einer Wärterin beobachtet zu werden. Ich erkannte die Absurdität darin und speicherte sie im Kopf ab.
Doch ganz gleich, wie sehr ich Abstand von meiner tatsächlichen Umgebung zu gewinnen versuchte, nagten Zorn und Selbstzweifel an mir. Ich hasste und beschimpfte mich innerlich dafür, dass ich die polizeiliche Untersuchung vom rechten Weg abgebracht, die Suche nach dem echten Mörder behindert hatte.
Immer wieder dachte ich zurück an jene Nacht – die Polizisten, die sich um mich scharten, mich bedrängten, mir mein Handy ins Gesicht drückten. Ich stellte mir vor, was ich hätte sagen sollen: »NEIN, SIE IRREN SICH.«
Die meisten Leute glauben bestimmt, dass sie an meiner Stelle genau das täten. Sie glauben bestimmt, dass sie sich an die Wahrheit halten würden, um welchen Preis auch immer. Sie glauben bestimmt, sie würden nie zusammenbrechen und nicht mehr wissen, was die Wahrheit ist. Genau das hätte ich auch von mir gedacht: dass ich nicht zusammenbrechen würde.
14
8.–9. November 2007
E s vergingen zwei Nächte, in denen die Metalltür hinter meinem Gitter zuschnappte – ein undurchdringlicher Panzer, der mich allein einschloss. Morgens, wenn die Wärterin aufmachte, hatte sich nichts geändert. Ich war immer noch isoliert.
Ich trank den Kaffee, rührte aber kaum das Essen an, das zweimal täglich auf einem Rollwagen vorbeikam, geliefert von einer Frau mit weißer Schürze und Netzhaube. Später stellte sich heraus, dass sie eine Insassin mit Arbeitserlaubnis war, aber damals dachte ich, sie käme von draußen. Ich versuchte, einen mitfühlenden Blick einzuheimsen – um eine Verbindung herzustellen, wie locker sie auch sein mochte. Aber ihre Reaktion war nur der mechanische, so typische Blick, an den ich mich allmählich gewöhnte.
Mitten an meinem zweiten Tag als Inhaftierte führten mich zwei Wärterinnen aus meiner Zelle nach draußen, über den Gefängnishof und in das zentrale Gebäude, wo man mich erkennungsdienstlich behandelt und meinen Pass eingezogen hatte. Dort, in einem leeren Büroraum, der in einen Mini-Gerichtssaal verwandelt worden war, warteten sieben Personen stumm auf meinen Eintritt – die beiden Männer mit eingerechnet, die aufstanden, als ich hineinging.
Der größere, jüngere Mann mit stachligen hellgrauen Haaren sagte auf Englisch: »Ich bin Carlo Dalla Vedova und komme aus Rom. Und das ist Luciano Ghirga aus Perugia.« Er deutete auf einen stämmigeren Mann mit glatten weißen Haaren. Beide trugen Anzug. »Wir sind Ihre Anwälte. Ihr Stiefvater hat uns mit Ihrer Vertretung beauftragt. Die US-Botschaft war als Vermittlerin tätig. Bitte nehmen Sie hier Platz. Und sagen Sie nichts.«
Ich war meiner Mutter unendlich dankbar für ihre Hilfe. Endlich hatte ich Verbündete, Leute, die mich aus dieser unerträglichen Situation herausholen würden.
Vor uns saßen drei Frauen. Die in der schwarzen Robe war die Richterin Claudia Matteini. Die Beisitzerin neben ihr verkündete: »Bitte aufstehen.«
Mit ungerührter, monotoner Stimme verlas die Richterin: »Im Mordfall Meredith Kercher sind gegen Sie, Amanda Marie Knox, geboren am 9. Juli 1987 in Seattle, Washington, USA, offizielle Ermittlungen eingeleitet worden. Möchten Sie sich dazu äußern? Sie haben das Recht zu schweigen.«
Ich war völlig perplex. Mir klappte der Unterkiefer herunter. Meine Beine begannen zu zittern. Ich drehte mein Gesicht nach links, um die einzigen Menschen, die ich im Raum erkannte, anzusehen – Monica Napoleoni, die Leiterin der Mordkommission mit den schwarzen Haaren und den langen Fingernägeln, ein Beamter, der bei meiner Vernehmung anwesend gewesen war, sowie der pubblico ministero Giuliano Mignini – der Staatsanwalt, den ich immer noch für den Bürgermeister hielt. Napoleoni, das Kinn auf die rechte Hand gelehnt, beobachtete meine Reaktion mit höhnischen Blicken. Sie schien die Veranstaltung zu genießen.
Bis die Richterin das Wort ergriff, hatte ich nicht einmal geahnt, dass ich unter Mordanklage stand. Ich war in einen Hinterhalt geraten.
»Möchten Sie eine persönliche Aussage machen?«, fragte die Richterin.
Ich wandte den Blick zu meinen Anwälten. Carlo strich mir
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