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Zeit, gehört zu werden (German Edition)

Zeit, gehört zu werden (German Edition)

Titel: Zeit, gehört zu werden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Knox
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bis es wie ein weiterer Beweis meiner Schuld aussah. Ich war am Boden zerstört.
    Als ich wieder in meiner Zelle war, wiederholte der italienische Nachrichtensender gerade eine Szene vom vergangenen Wochenende, an dem Merediths Familie, ganz in Schwarz, in England zur Beerdigung ging. Über Don Saulo wusste ich von der Beisetzung und war den ganzen Tag über in Gedanken bei Meredith gewesen. Beim Anblick ihrer trauernden Familie dachte ich nur: Trotz allem, was ich durchmache, bin ich die Glückliche .

21
    Januar–Mai 2008
    E inen mit meiner Kleidung und meinen Büchern vollgestopften Müllsack in den Armen, stand ich vor der Tür zu meiner dritten Zelle in neun Wochen. Die Wärterin drehte den Schlüssel im Schloss und zog. »Was glauben Sie eigentlich, wo Sie hier sind?«, höhnte sie. »In einem Hotel?«
    »Nein.« Ich wusste, dass sie meine Anträge auf Verlegung als das Gehabe einer Diva betrachtete.
    Ich hatte um die Veränderungen gebeten – aus guten Gründen. Meine erste Zellengenossin Gufa war verrückt. Meine Zellengenossinnen danach waren drei Klatschtanten mittleren Alters, die meine Kochkünste und meine mangelnde Sauberkeit bemängelten. Sie nannten mich eine Wichtigtuerin, weil ich gern las und schrieb. »Was taugen denn Ihre ganzen Studien jetzt, wo Sie den Rest Ihres Lebens im Gefängnis verbringen werden?«, fragte eine.
    Sie gaben mir einen Spitznamen: »Principessa sul pisello« – »Prinzessin auf der Erbse«. Das Wortspiel mit dem Märchentitel war ein Doppelschlag. Pisello steht in der Umgangssprache für Penis – ein Bezug auf mein angeblich ausschweifendes Sexualleben.
    Jetzt zog ich bei Cera ein. Jung, groß, geschmeidig wie ein Model, arbeitete sie als portavito: Sie teilte Mahlzeiten auf einem Rollwagen aus.
    Außerdem nahm sie an einem wöchentlichen Gitarrenunterricht teil, einer weiteren »Resozialisierungsmaßnahme« des Gefängnisses, wie Filmvorführungen. Aber ich war noch immer vom Großteil der Gefängnisinsassinnen isoliert – ein Sonderstatus, um junge Menschen zu schützen, die zum ersten Mal mit dem Gesetz in Konflikt gekommen waren. Die Kehrseite war, dass ich davon abgehalten wurde, an Gruppenaktivitäten teilzunehmen oder mit anderen als meinen Zellengenossinnen zu sprechen. Zum Glück überredete Don Saulo die Gefängnisleitung, mich einmal in der Woche an seiner Messe teilnehmen zu lassen.
    An einem Mittwoch, als Cera und ich vom Unterricht wieder zu unseren Zellen zurückgingen, fragte ich: »Wärst du bereit, mich bei dir wohnen zu lassen? Wir sind ungefähr gleich alt und studieren beide. Ich könnte dir bei deinem Englisch helfen.«
    Sie wartete einen Moment, bis sie antwortete: »Klar. Ich schreibe heute Abend einen Antrag.«
    Cera hatte es geschafft, ihre Zelle wohnlich zu gestalten, sauber und ordentlich. Die Betten waren mit heller, farbiger Wäsche bezogen, Postkarten klebten an den Wänden, und ein bunter Vorhang hing vor den Gittern am Fenster. Während ich auspackte, schütteten wir uns gegenseitig das Herz aus. Sie saß im Schneidersitz auf dem Bett am Fester. »Ich sollte dir lieber gleich sagen, dass ich bisexuell bin«, sagte sie.
    »Cool«, erwiderte ich. »Ich nicht, aber mein Motto lautet auf jeden Fall ›leben und leben lassen‹.«
    »Du bist sowieso nicht mein Typ«, sagte sie. »Ich dachte, du wärst vielleicht lesbisch, als du mich gebeten hast, ob du hier einziehen kannst, aber dann bin ich zu dem Schluss gekommen, dass du’s nicht bist.« Sie zögerte. »Du weißt, dass deine vorherigen Zellengenossinnen verbreitet haben, du seist verwöhnt.«
    Wow. Warum war mir nicht klar gewesen, dass sie hinter meinem Rücken über mich herziehen würden? Die klatschten doch über alle. Cera sah mir meine Enttäuschung an. »Die sind alle unecht. Fast jeder im Gefängnis verstellt sich. Du wirst schon sehen.«
    »Aber es klingt so, als hättest du Freunde und viel Spaß mit Menschen.«
    »Wie kommst du darauf?«
    »Ich höre Gelächter aus der socialità .« Ich durfte nicht zu den gemeinsamen Abenden gehen.
    Sie verdrehte die Augen. »Das ist doch alles Scheiße. Es geht fröhlich zu dort, aber alle sind unecht.«
    Wie können alle unecht sein? Menschen sind Menschen.
    »Das Gefängnis ist schlimm. Du wirst sehen.« Sie beugte sich zu mir. »Warte nur, bis du eine Weile hier bist.«
    Sie zählte die Tatsachen auf. »Inhaftierte und Wärter leben in unterschiedlichen Welten. Die Wärterinnen sind der Feind. Die sind nur dazu da, um über uns zu

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