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Zeit im Wind

Zeit im Wind

Titel: Zeit im Wind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicholas Sparks
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guter Kerl, aber manchmal konnte er etwas grob werden, besonders wenn er schon ein paar Schluck Bourbon intus hatte.
    Am Tag des Schulballs hatte ich alle Hände voll zu tun. Nachmittags half ich die Sporthalle zu schmücken, und dann mußte ich eine halbe Stunde vor der Zeit bei Jamie sein, weil ihr Vater mit mir sprechen wollte. Worüber, wußte ich nicht. Jamie hatte mich damit am Tag vor dem Ball überrascht, und ich kann nicht behaupten, daß ich von der Aussicht begeistert war. Ich nahm an, er wollte mit mir über die Versuchung sprechen und die schlimmen Abwege, auf die sie uns führen konnte. Wenn er aber vom Unzuchttreiben anfing, würde ich auf der Stelle in den Erdboden versinken, das war klar. Ich schickte den ganzen Tag lang kleine Stoßgebete zum Himmel, weil ich hoffte, das Gespräch vermeiden zu können, aber ich war mir nicht sicher, ob Gott meine Gebete vorrangig behandeln würde, wenn man bedenkt, wie ich mich früher verhalten hatte. Schon der Gedanke daran machte mich nervös.
    Nachdem ich geduscht hatte, zog ich einen von meinen guten Anzügen an, machte einen Abstecher zum Blumenlacfen, um Jamies Blumensträußchen zum Anstecken abzuholen, und fuhr dann zu ihr. Meine Mutter hatte mir erlaubt, das Auto zu benutzen, und ich parkte genau vor Jamies Haus. Da die Zeitumstellung noch bevorstand, war es noch hell, als ich bei ihnen ankam und auf dem rissigen Weg zur Haustür ging. Ich klopfte, wartete und klopfte dann noch einmal. Hinter der Tür hörte ich Hegberts Stimme: »Ich komme sofort«, aber er schien es nicht besonders eilig zu haben. Ich stand bestimmt zwei Minuten vor der Tür und betrachtete das Schnitzwerk und die kleinen Sprünge in der Fensterbank. An der Seite standen die Stühle, auf denen Jamie und ich ein paar Tage zuvor gesessen hatten. Der, auf dem ich gesessen hatte, war immer noch in die andere Richtung gedreht. Wahrscheinlich waren die beiden in den letzten Tagen nicht auf der Veranda gewesen.
    Endlich öffnete sich knarrend die Tür. Das Licht von innen warf einen Schatten auf Hegberts Gesicht und schien durch sein Haar. Er war alt, wie ich schon sagte, zweiundsiebzig, würde ich schätzen. Es war das erste Mal, daß ich ihn aus der Nähe sah, und ich konnte all die kleinen Fältchen in seinem Gesicht erkennen. Seine Haut war wirklich durchsichtig; aus der Nähe betrachtet fiel das noch mehr auf.
    »Hallo, Herr Pfarrer«, sagte ich und überwand meine Furcht. »Ich bin gekommen, um Jamie zum Ball abzuholen.«
    »Ja, natürlich«, erwiderte er. »Aber vorher möchte ich gern mit dir reden.«
    »Ja, Sir, deswegen bin ich früher gekommen.«
    »Komm herein.«
    In der Kirche war Hegbert immer ganz korrekt angezogen, aber im Moment trug er Latzhosen und ein T- Shirt und sah eher aus wie ein Farmer. Er deutete auf den hölzernen Stuhl, den er aus der Küche geholt hatte. »Es tut mir leid, daß ich nicht schneller zur Tür gekommen bin. Ich arbeite gerade an der Predigt für morgen«, sagte er.
    Ich setzte mich.
    »Das ist in Ordnung, Sir.«
    Ich weiß nicht, warum, aber ich mußte einfach »Sir« zu ihm sagen. Irgendwie provozierte er das.
    »Also gut, erzähl mir was von dir.«
    Ich fand die Aufforderung ziemlich lächerlich, wo er doch meine Familie schon so lange kannte. Er hatte mich übrigens auch getauft, und seit meiner frühesten Kindheit sah er mich jeden Sonntag in der Kirche.
    »Nun, Sir«, fing ich an, wußte aber nicht recht, was ich sagen sollte. »Ich bin jetzt Schülersprecher. Ich weiß nicht, ob Jamie Ihnen das erzählt hat.«
    Er nickte. »Doch, das hat sie. Und weiter?«
    »Und… also, ich hoffe, ich bekomme im Herbst einen Studienplatz an der University of North Carolina. Die Bewerbungsunterlagen habe ich schon.«
    Wieder nickte er. »Sonst noch was?«
    Ich mußte zugeben, daß mir danach nichts mehr einfiel. Am liebsten hätte ich den Bleistift vom Tisch genommen und ihn auf meinem Finger balanciert, und zwar die vollen dreißig Sekunden lang, aber Hegbert war wohl nicht der Typ, den das beeindrucken würde.
    »Ich glaube nicht.«
    »Dürfte ich dir eine Frage stellen?«
    »Natürlich, Sir.«
    Dann sah er mich eine Weile lang durchdringend an, als müßte er sich die Frage überlegen.
    »Warum hast du meine Tochter zu dem Ball eingeladen?« fragte er schließlich.
    Ich war überrascht und wußte, daß es mir ins Gesicht geschrieben stand.
    »Ich weiß nicht, was Sie meinen, Sir.«
    »Du hast nicht vor, sie irgendwie… in eine peinliche Situation zu bringen,

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