Zeit im Wind
nachdenklich.
»Vielleicht würde ich gehen, wenn sich die Möglichkeit ergäbe. Ich war noch nie bei einem Ball.«
»Es macht Spaß«, sagte ich schnell. »Nicht riesigen Spaß, aber doch Spaß.«
Besonders, wenn man bedachte, was meine Alternativen waren. Das sagte ich aber nicht.
Sie lächelte über meine Redensart. »Ich muß natürlich erst meinen Vater fragen, aber wenn er es mir erlaubt, dann würde ich wohl gehen.«
In dem Baum neben der Veranda fing ein Vogel lauthals zu schimpfen an, als wüßte er, daß ich da nichts zu suchen hatte. Ich konzentrierte mich auf den Lärm und versuchte so, meine Nerven zu beruhigen. Noch vor zwei Tagen wäre mir der Gedanke völlig absurd vorgekommen, aber jetzt war ich da und hörte mich die Zauberworte sprechen:
»Ja, würdest du mit mir zu dem Ball gehen?«
Ich sah, daß die Frage sie überraschte. Ich glaube, sie hatte angenommen, daß meine kleine Vorbereitung bedeutete, jemand anders wolle sie einladen. Manchmal schickten Teenager ihre Freunde aus, um »die Lage zu sondieren«, sozusagen, damit man sich keine Absage einhandelte. Obwohl Jamie nicht so wie andere Teenager war, nahm ich doch an, daß sie mit diesem Vorgehen vertraut war, wenigstens in der Theorie.
Statt jedoch sofort zu antworten, wandte Jamie den Blick für lange Zeit ab. Mein Magen krampfte sich zusammen, weil ich dachte, sie würde nein sagen. Bilder von meiner Mutter, von Erbrochenem und von Carey gingen mir durch den Kopf, und plötzlich bedauerte ich, daß ich mich ihr gegenüber all die Jahre so schäbig verhalten hatte. Ich mußte daran denken, wie ich sie immer gehänselt und ihren Vater einen Unzuchttreibenden genannt hatte, und wie ich sie hinter ihrem Rücken verspottet hatte. Als mich diese Gedanken gerade richtig niederdrückten und ich mir vorstellte, wie ich Carey wohl fünf Stunden lang ertragen könnte, drehte sie sich wieder zu mir um. Auf ihrem Gesicht lag ein kleines Lächeln.
»Ich würde gerne mit dir gehen«, sagte sie, »unter einer Bedingung.«
Ich machte mich auf alles gefaßt und hoffte, es wäre nicht zu schwierig.
»Und die wäre?«
»Du mußt mir versprechen, daß du dich nicht in mich verliebst.«
Das meinte sie nicht ernst, denn sie lachte, und ich atmete unwillkürlich vor Erleichterung auf. Ich muß zugeben, daß Jamie manchmal einen richtig guten Sinn für Humor hatte.
Ich lächelte und versprach es ihr.
Kapitel 3
Zwar war Jamie noch nie bei einem Schulball gewesen, aber sie hatte schon an Tanztees von der Kirche teilgenommen. Sie war keine schlechte Tänzerin - auch ich war bei einigen dieser Kirchen-Tanztees gewesen -, aber offen gesagt war es sehr schwer vorherzusagen, wie sie sich mit jemandem wie mir machen würde. Bei den Tanztees tanzte sie immer mit alten Leuten, weil keiner von den Gleichaltrigen sie aufforderte. Die Tänze, die vor dreißig Jahren beliebt waren, konnte sie also richtig gut. Ich wußte aber ehrlich gestanden nicht, was ich erwarten sollte.
Ich gebe zu, daß ich mir auch Gedanken darüber machte, was sie anziehen würde, aber das sagte ich ihr natürlich nicht. Wenn Jamie zum Tanztee ging, trug sie gewöhnlich einen alten Pullover und eins der Kleider, die sie auch zur Schule anzog, aber der Schulball sollte ja etwas Besonderes sein. Die meisten Mädchen kauften sich neue Kleider, und die Jungen trugen Anzüge, und in diesem Jahr würde ein Photograph kommen und alle photographieren. Ich wußte, daß Jamie sich kein neues Kleid kaufen würde, denn sie war nicht gerade besonders reich. Als Pfarrer verdiente man nicht viel Geld, aber natürlich wurde man nicht Pfarrer, um reich zu werden, sondern weil man ein höheres Ziel vor Augen hatte, gewissermaßen. Aber ich wollte nicht, daß sie die Sachen anzog, die sie auch zur Schule trug. Nicht meinetwegen - so hartherzig war ich nun auch wieder nicht -, sondern wegen der anderen. Ich wollte nicht, daß die anderen sich über sie lustig machten.
Die gute Nachricht war - wenn es überhaupt eine gute Nachricht gab -, daß Eric mich nicht zu sehr wegen der ganzen Sache mit Jamie aufzog, weil er nämlich mit seiner eigenen Partnerin beschäftigt war. Er ging mit Margaret Hays, der Anführerin der Cheerleader an unserer Schule. Margaret war nicht unbedingt die hellste, aber trotzdem ganz nett. Mit nett meine ich natürlich, daß sie gute Beine hatte. Eric bot mir an, daß wir zu viert gehen könnten, aber ich wollte nicht riskieren, daß er sich über Jamie lustig machte und so. Er war ein
Weitere Kostenlose Bücher