Zeit im Wind
verging die Zeit ziemlich schnell. Bei einem Dutzend Songs ließ sie sich leicht von mir führen, danach setzten wir uns hin und unterhielten uns fast normal. Klar, es fielen auch Wörter wie Glaube und Freude und sogar Erlösung, und sie sprach davon, daß sie bei den Waisenkindern aushalf und halbtote Tiere von der Straße auflas, aber sie war so glücklich, daß es schwer war, sich nicht anstecken zu lassen.
Am Anfang war es also gar nicht so schlimm und keineswegs schlechter, als ich es mir vorgestellt hatte. Erst als Lew, Angelas Freund, auftauchte, wurde es ungemütlich.
Er kam kurz nach uns und hatte wieder eins von diesen blöden T-Shirts mit einer Schachtel Camel im Ärmel an und jede Menge Gel im Haar. Angela klebte regelrecht an ihm. Man mußte kein Hellseher sein, um zu erkennen, daß sie vorher schon etliches getrunken hatte. Ihr Kleid war todschick - ihre Mutter arbeitete in einem Friseursalon und war bestens über die neuesten Modetrends informiert -, außerdem bemerkte ich, daß sie eine damenhafte Angewohnheit angenommen hatte: das Kaugummikauen. Wie wild malmte sie auf dem Kaugummi herum, wie eine Kuh, die wiederkäute.
Nun, der gute, alte Lew tat einen Schuß in die alkoholfreie Bowle, so daß auch ein paar der Schüler einen Schwips bekamen. Als die Lehrer das spitzkriegten, war die Bowle schon fast leer. Die davon getrunken hatten, bekamen einen glasigen Blick, aber man konnte sehen, daß die Wirkung bald nachlassen würde. Bei Angela allerdings war es klar, daß ein kleiner Schluck ihr den Rest geben würde. Als ich sah, daß sie bei dem zweiten Glas Bowle war, wußte ich, daß ich sie nicht aus den Augen lassen durfte. Auch wenn sie mich sitzengelassen hatte, wollte ich nicht, daß es ihr dreckig ging. Mit ihr hatte ich zum ersten Mal einen Zungenkuß probiert. Zwar waren wir dabei so heftig mit den Zähnen zusammengestoßen, daß ich Sterne sah und ein Aspirin nehmen mußte, als ich wieder zu Hause war, aber ich hatte immer noch Gefühle für sie.
Ich saß also da, neben Jamie, und hörte kaum, was sie mir über die wunderbare Bibelschule erzählte, während ich Angela aus dem Augenwinkel beobachtete, als Lew meinen Blick bemerkte. Mit einer hektischen Bewegung packte er Angela um die Taille, zog sie mit sich zu unserem Tisch und warf mir einen dieser Blicke zu, der besagte: NIMM DICH IN ACHT. Man kann es sich vorstellen, oder?
»Hast du meine Freundin angemacht?« fragte er, und die Spannung stieg.
»Nein.«
»Doch, und ob«, sagte Angela fast lallend. »Er hat mich die ganze Zeit angestarrt. Das ist mein früherer Freund, der, von dem ich dir erzählt habe.«
Seine Augen wurden zu Schlitzen, genau wie bei Hegbert. Anscheinend habe ich auf viele Menschen eine ähnliche Wirkung.
»Also, du bist das«, schnaufte er verächtlich.
Ich bin nicht gerade der geborene Kämpfer. Ich war nur ein einziges Mal in eine Prügelei verwickelt, und das war in der dritten Klasse. Damals hatte ich schon verloren, bevor der andere Junge überhaupt zugeschlagen hatte, weil ich anfing zu weinen. Normalerweise konnte ich mich ohne weiteres aus solchen Dingen raushalten, weil ich ein eher passives Naturell hatte, und außerdem fing niemand mit mir Streit an, wenn Eric sich in meiner Nähe aufhielt. Aber Eric war mit Margaret irgendwo verschwunden, wahrscheinlich hinter die Bühne, jedenfalls war er nicht zu sehen.
»Ich habe nicht gestarrt«, sagte ich schließlich, »und ich weiß nicht, was sie dir erzählt hat, aber ich bezweifle, daß es stimmt.«
Seine Augen wurden noch schlitzförmiger. »Nennst du Angela eine Lügnerin?«
Oh, Mist. Ich glaube, er hätte mich auf der Stelle geschlagen, wenn Jamie sich nicht plötzlich eingemischt hätte.
»Ich kenne dich doch«, begann sie fröhlich und sah ihn an. Manchmal schien Jamie nicht wahrzunehmen, was direkt vor ihrer Nase passierte. »Doch, warte! Du arbeitest in der Autowerkstatt in der Stadt. Dein Vater heißt Joe, und deine Großmutter wohnt in der Foster Road, beim Bahnübergang.«
Ein verwirrter Blick huschte über Lews Gesicht, als versuchte er, ein Puzzle zusammenzusetzen, für das es zu viele Stücke gab.
»Woher weißt du das alles? Hat der hier das alles über mich erzählt?«
»Nein«, erwiderte Jamie, »natürlich nicht.«
Sie lachte vor sich hin. Nur Jamie konnte in einem solchen Moment etwas zu lachen finden. »Ich habe ein Photo von dir im Haus deiner Großmutter gesehen. Ich kam gerade vorbei, als sie sich mit einer Einkaufstasche
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