Zeit im Wind
abschleppte. Das Photo von dir steht auf dem Kaminsims.«
Lew sah Jamie an, als wüchsen ihr Maiskolben aus den Ohren.
Jetzt fächerte Jamie sich mit der Hand Luft zu. »Wir haben uns gerade ein bißchen hingesetzt, weil wir Luft schöpfen wollten nach dem Tanzen. Es wird einem ganz schön heiß dabei. Wollt ihr euch zu uns setzen? Hier sind noch zwei Stühle. Ich würde gern hören, wie es deiner Großmutter geht.«
Sie klang so erfreut, daß Lew nicht wußte, was er tun sollte. Im Gegensatz zu uns, die wir an Jamie gewöhnt waren, hatte er noch nie jemanden wie sie kennengelernt. Einen Moment lang stand er unschlüssig da, als würde er überlegen, ob er den Jungen schlagen sollte, der mit dem Mädchen zusammen war, das seiner Großmutter geholfen hatte. Wenn sich das so schon kompliziert anhört, dann muß man sich mal klarmachen, welche Wirkung es auf Lews benzingeschädigtes Hirn hatte. Schließlich zog er ab und nahm Angela mit. Angela hatte inzwischen wahrscheinlich vergessen, wie alles angefangen hatte, weil sie schon zuviel getrunken hatte. Jamie und ich sahen ihm hinterher, und als er in sicherer Entfernung war, atmete ich aus. Ich hatte gar nicht gemerkt, daß ich die Luft angehalten hatte.
»Danke«, murmelte ich verlegen und mußte zugeben, daß Jamie - Jamie! - mich vor körperlichem Schaden bewahrt hatte.
Jamie sah mich verdutzt an. »Wofür?« fragte sie, und als ich nicht anfing, es ihr haarklein zu erklären, nahm sie ihre Geschichte von der Bibelschule wieder auf, als wäre nichts geschehen. Aber diesmal hörte ich ihr sogar zu, wenigstens mit einem Ohr. Das war das mindeste, was ich tun konnte.
Es stellte sich heraus, daß wir es an dem Abend noch einmal mit Lew und Angela zu tun bekommen sollten. Die zwei Gläser Bowle waren zuviel für Angela gewesen, und sie übergab sich in der Mädchentoilette. Lew, der auf Stil hielt, verließ das Fest, als er sie würgen hörte; er schlich sich davon, so wie er sich eingeschlichen hatte, und ward nicht mehr gesehen. Das Schicksal hatte Jamie dazu ausersehen, Angela in der Toilette zu finden, und sie erkannte sofort, daß es Angela nicht sehr gut ging. Uns blieb nichts anderes übrig, als sie notdürftig zu säubern und nach Hause zu bringen, bevor die Lehrer davon Wind bekamen. Damals galt es als schlimme Sache, wenn man sich betrank. Angela mußte mit einem zeitweiligen Ausschluß vom Unterricht, wenn nicht sogar mit einem Verweis von der Schule rechnen, wenn sie erwischt wurde.
Jamie, die gute Seele, wollte das genausowenig wie ich, obwohl ich gedacht hatte, sie würde anders urteilen, weil Angela minderjährig war und gegen das Gesetz verstoßen hatte. Außerdem hatte sie eine der Regeln in Hegberts Verhaltenskodex verletzt. Hegbert hatte eine klare Meinung, was Gesetzesbrecher und das Trinken anging. Zwar hob er da nicht so ab wie bei dem Thema Unzucht, dennoch wußten wir alle, daß er es todernst meinte, und nahmen an, daß Jamie genauso dachte. Vielleicht tat sie das auch, aber ihr Helferinstinkt war stärker. Wahrscheinlich warf sie einen Blick auf Angela, dachte:
»Verletzte Kreatur«, oder so ähnlich, und trat in Aktion. Zu zweit machten wir Eric hinter der Bühne ausfindig. Der erklärte sich bereit, an der Toilettentür Wache zu stehen, während Jamie und ich drinnen saubermachten. Angela hatte ganze Arbeit geleistet, das kann man sagen. Überall war Erbrochenes, nur nicht in der Toilettenschüssel. An den Wänden, auf dem Boden, in den Waschbecken - sogar an der Decke, obwohl ich nicht weiß, wie sie das geschafft hat. Da hockte ich also in meinem besten blauen Anzug beim Schülerball und wischte Erbrochenes auf - genau das, was ich von Anfang an vermeiden wollte. Und Jamie, meine Partnerin, kroch ebenfalls auf Knien herum und machte sauber.
Ich konnte Careys piepsiges, verrücktes Lachen irgendwo in der Ferne regelrecht hören.
Dann endlich schlichen wir uns durch die Hintertür der Turnhalle davon und hielten Angela aufrecht, indem wir sie zwischen uns stützten. Angela fragte immer wieder, wo Lew sei, aber Jamie sagte, sie solle sich keine Sorgen machen. Sie hatte eine sehr beruhigende Art, mit Angela zu sprechen, doch Angela war so weggetreten, daß ich bezweifle, ob sie wußte, wer da sprach. Wir luden Angela auf den Rücksitz meines Autos, wo sie praktisch sofort ohnmächtig wurde, jedoch nicht, ohne sich vorher noch einmal auf den Boden übergeben zu haben. Der Gestank war so widerlich, daß wir die Fenster runterkurbeln
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