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Zeit im Wind

Zeit im Wind

Titel: Zeit im Wind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicholas Sparks
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habe ich es nicht«, erwiderte ich stoisch.
    »Du meinst, du spielst einfach ordentlich deine Rolle?«
    Ich nickte. Etwas anderes war mir gar nicht in den Sinn gekommen.
    Er schaute mich eindringlich an, als sähe er mich zum ersten Mal.
    »Vielleicht wirst du endlich erwachsen, Landon«, meinte er. Da es von Eric kam, war ich mir nicht sicher, ob es als Kompliment gedacht war.
    So oder so, ich wußte, daß er recht hatte.
    In dem Stück versetzt der erste Anblick des Engels Tom Thornton in solches Staunen, daß er ihm sofort willig folgt und Weihnachten mit den Armen und Benachteiligten feiert. Die ersten Worte, die Tom in dem Moment spricht, sind: »Du bist schön«, und ich sollte sie sagen, als kämen sie aus tiefstem Herzen. Es war der Kernpunkt des ganzen Stückes, der den Ton dessen bestimmte, was danach kam. Das Problem war nur, daß ich bei dieser Zeile den Ton nicht richtig traf. Sicher, die Worte konnte ich sagen, aber sie klangen nicht überzeugend, da ich sie wahrscheinlich so sagte wie jeder andere, wenn er Jamie sah, Hegbert ausgenommen. Es war die einzige Szene, bei der Miss Garber nie »großartig« gesagt hatte, deshalb war ich verunsichert. Ich versuchte, mir jemand anders als Engel vorzustellen, so daß ich die Worte mit Überzeugung sprechen konnte, aber da ich mich auf so viel anderes konzentrieren mußte, vergaß ich das im Eifer des Gefechts.
    Jamie war immer noch in ihrer Garderobe, als der Vorhang endlich aufging. Ich hatte sie nicht im Kostüm gesehen, aber das machte nichts. In den ersten Szenen kam sie nicht vor - in denen ging es hauptsächlich um Tom Thornton und die Beziehung zu seiner Tochter.
    Ich hatte nicht gedacht, daß ich Lampenfieber haben würde - schließlich hatte ich gründlich geprobt -, aber als der Vorhang dann endlich hochging, war es wie ein Schlag ins Gesicht. Das Playhouse war bis auf den letzten Platz besetzt, und hinten im Raum waren, wie Miss Garber angekündigt hatte, sogar noch zwei Extrareihen mit Stühlen aufgestellt worden. Normalerweise faßte der Saal vierhundert Menschen, aber so waren es noch einmal fünfzig mehr. Außerdem standen die Zuschauer an den Seitenwänden, eng gedrängt wie Sardinen. Doch als ich die Bühne betrat, war es mucksmäuschenstill im Saal. Das Publikum bestand in der Mehrzahl aus alten Damen mit blaugetönten Haaren - die Sorte, die Bingo spielt und beim Sonntagsbrunch Bloody Marys trinkt -, aber ich entdeckte Eric und alle meine Freunde in der letzten Reihe. Es war regelrecht unheimlich, so dazustehen, während alle darauf warteten, daß ich etwas sagte.
    Ich bemühte mich also nach Kräften, nicht an die Zuschauer zu denken, während wir die ersten Szenen spielten. Sally, die mit dem Glasauge, spielte übrigens meine Tochter, weil sie für ihr Alter ziemlich klein war, und wir spielten die Szenen so, wie wir sie geprobt hatten. Keiner von uns verpatzte seinen Text, obwohl wir nicht gerade berauschend waren. Als der Vorhang sich senkte, mußten wir schnell die Kulissen für den zweiten Akt umstellen. Diesmal halfen auch alle anderen, und meine Finger wurden nicht zerquetscht, weil ich einen großen Bogen um Eddie machte.
    Ich hatte Jamie immer noch nicht gesehen - vermutlich brauchte sie keine Kulissen zu schieben, weil ihr Kostüm, das aus ganz dünnem Stoff war, zu leicht reißen konnte, wenn es an einem Nagel hängenblieb -, aber ich dachte auch nicht an sie, weil es soviel zu tun gab. Und bevor ich wußte, wie mir geschah, ging der Vorhang wieder auf, ich sah mich in Hegbert Sullivans Welt versetzt und ging durch eine Straße mit Geschäften, auf der Suche nach der Spieluhr, die sich meine Tochter zu Weihnachten wünschte. Ich stand mit dem Rücken zu der Tür, durch die Jamie kommen würde, aber als sie die Bühne betrat, hörte ich, wie die Zuschauer vor Erstaunen tief die Luft einsogen. Ich fand es vorher schon still, aber jetzt hätte man eine Stecknadel fallen hören können. In dem Moment nahm ich aus dem Augenwinkel wahr, wie Hegbert Jamie mit zitterndem Unterkiefer ansah. Nach einem kurzen Moment der inneren Sammlung drehte ich mich um - und begriff, was los war.
    Zum ersten Mal, seit ich Jamie kannte, war ihr Haar nicht zu einem straffen Knoten gebunden. Statt dessen fiel es lose um ihr Gesicht. Es war länger, als ich mir vorgestellt hatte, und reichte ihr bis zu den Schulterblättern. Sie hatte etwas Glitzerndes im Haar, so daß sich das Licht der Scheinwerfer darin brach und es zum Funkeln brachte wie einen

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