Zeit-Odyssee
können wir die Transferzelle benutzen.«
»Und irgendwo in unserer Vergangenheit zu landen und die Dinge noch komplizierter zu machen.«
»Mag sein. Wir können aber auch unseren persönlichen Mechanismus aufladen und auf gut Glück irgenwohin springen.«
»Ohne die geringste Ahnung, wo wir landen?« Sie schauderte, kaschierte es aber mit einer Geste, mit einem graziösen Anheben des Kinns, das mich an eine andere Zeit, einen anderen Ort, ein anderes Mädchen erinnerte.
Nein, verdammt noch mal – nicht an ein anderes Mädchen.
»Oder«, sagte sie, »wir könnten zusammen springen – wie schon einmal.«
»Das würde nichts ändern, Mellia. Wir würden uns immer noch ohne bestimmtes Ziel in den Zeitstrom stürzen. Vielleicht wirbeln wir dann Hals über Kopf in einen ähnlichen Nebel hinaus wie hier – oder noch schlimmer.«
»Aber wenigstens …«, begann sie, brach aber mitten im Satz ab. Wenigstens würden wir zusammen sein – fast vermeinte ich ihre Worte zu hören.
»Wenigstens würden wir hier nicht untätig herumsitzen, während rings um uns her die Welt in Scherben fällt«, sagte sie statt dessen.
»Was würdest du also wählen?«
Langes Schweigen. Sie sah mich nicht an. Dann tat sie es doch. Sie wollte etwas sagen, zögerte aber.
»Die Zelle«, erklärte sie schließlich.
»Zusammen oder nacheinander?«
»Kann uns das Feld beide gleichzeitig tragen?«
»Ich glaube schon.«
»Dann zusammen. Es sei denn, es gäbe einen Grund für eine Trennung.«
»Es gibt keinen, Mellia.«
»Dann ist es entschieden.«
»Richtig. Und jetzt iß auf. Es kann eine Weile dauern, bis wir wieder Gelegenheit zum Essen haben.«
Als letzte Vorbereitung holte ich mir eine kleine Kraterpistole aus der Waffenkammer, die ich unter der Manschette an mein Handgelenk schnallte. Durch den zeitgepanzerten Transit-Tunnel gelangten wir zur Transferzelle. Alle Instrumente zeigten normalen Stand; die Schaltkreise waren funktionsbereit. Unter normalen Bedingungen würde ein Passagier schmerzlos und blitzschnell aus dem Zeitstrom ins extratemporale Medium geschleudert und im Hauptempfangsraum der Nexx-Zentrale wieder in die normale Raum-Zeit zurückgeworfen werden. Was diesmal geschehen würde, war nicht vorauszusehen. Vielleicht fielen wir entlang meiner eigenen Zeitlinie zurück und würden zu zweit an Bord der sinkenden Galeasse auftauchen; vielleicht war aber auch Mellia Gayls »Gestalt« stärker, und wir erreichten einen Punkt in ihrer Vergangenheit, an dem wir noch nicht gewesen waren, und trugen so zu der Katastrophe, die uns heimgesucht hatte, noch weitere Komplikationen bei. Oder wir landeten irgendwo dazwischen. Oder überhaupt im Nichts …«
»Nächste Haltestelle Nexx-Zentrale«, verkündete ich, schob Mellia in die Zelle und zwängte mich hinterher.
»Fertig?«
Sie nickte.
Ich drückte auf den Transferknopf.
Die Explosion zerriß uns in Atome.
21.
»Oder vielleicht auch nicht«, hörte ich eine Stimme krächzen. Ich kannte die Stimme. Es war die meine. »Mein Gott, was für ein Traum!« fuhr ich im Selbstgespräch fort. »Was für ein Kater! Was für Kopfschmerzen!«
»Der terminus technicus dafür ist, glaube ich, transtemporaler Schock«, sagte Lisa neben mir.
Ich öffnete mühsam die verklebten Lider, zuckte vor dem grellen Licht zurück und erkannte in meiner Nähe ein Gesicht. Ein hübsches, herzförmiges Gesicht mit großen, dunklen Augen und dem reizendsten Lächeln der ganzen Welt.
Aber es war nicht Lisas Gesicht.
»Alles in Ordnung?« erkundigte sich Mellia.
»Mir fehlt nichts, was nicht mit einer Woche auf der Intensivstation kuriert werden könnte«, antwortete ich. Dann richtete ich mich auf einen Ellbogen auf und sah mich um. Wir befanden uns in einem weitläufigen Raum, lang und hoch wie ein Speisesaal, mit einem glatten, grauen Boden und blaßgrauen Wänden, die mit endlosen Reihen von Instrumenten bedeckt waren. Die Mitte nahm ein riesiger Sessel ein, der einer Anzahl von Anzeige-Monitoren und einer Kodier-Konsole zugewandt war. Die Wand an einem Ende des Raumes bestand aus einer Glasscheibe, durch die man den weiten Himmel sehen konnte.
»Wo sind wir?«
»Keine Ahnung. Irgendeine technische Anlage. Kennst du sie nicht?«
Ich schüttelte den Kopf. Falls dies tatsächlich etwas aus meiner Vergangenheit war, so war es aus meinem Gedächtnis gelöscht worden.
»Wie lange bin ich bewußtlos gewesen?« fragte ich sie.
»Ich selbst bin vor einer Stunde aufgewacht.«
Noch einmal
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