Zeit-Odyssee
verschwunden.«
20.
Das Klappern der Gabeln auf den Tellern beim Frühstück wirkte viel lauter als normal. Das Essen war gut. Die Nexx-Rationen waren so zusammengestellt, daß sie einen Teil der Lücke füllten, die das Nichtvorhandensein aller menschlichen Bindungen und Werte, die normalerweise das Leben lebenswert machen, im Dasein der Agenten hinterließ. Wir gingen ganz in unserem Beruf auf. Im Dienst der Idee, daß die menschliche Rasse und ihre Zukunft es wert seien, gerettet zu werden, verzichteten wir auf Heim, Frau und Kinder. Es war ein durchaus vernünftiger Tausch. Das mußte jedermann einsehen.
Doch immer stand Lisas Gesicht zwischen mir und dem Frühstück, mir und der Notsituation, in der ich mich befand, mir und der Gefahr für die Aktion Zeitsäuberung. Zwischen mir und Mellia.
»Was sollen wir tun, Ravel?« fragte Mellia. Ihre Miene war jetzt wieder kühl und gelassen, ihre Augen verrieten nichts. Vielleicht kam das von der vertrauten Umgebung. Spaß und Spiel waren vorüber. Jetzt kam wieder die Pflicht an die Reihe.
»Zunächst werden wir uns mal genau die Daten ansehen und überlegen, was wir aus ihnen entnehmen können«, antwortete ich.
»Na schön. Wir können gemeinsam auf mehrere Beobachtungen zurückgreifen, von denen aus wir in etwa auf die Parameter der Situation schließen können.« Nüchtern, wissenschaftlich exakt. Blick ruhig und offen. Eine gute Agentin, diese Miß Gayl. Aber wo war das Mädchen, das gestern abend in meinen Armen gelegen und geweint hatte?
»Gut«, sagte ich. »Also: Ich führte einen Routine-Auftrag aus, kehrte zum Absprungpunkt zurück, sendete meinen Abhol-Code und wurde zurückgeholt. Bis dahin alles völlig normal.« Ich blickte sie Zustimmung heischend an. Sie nickte knapp.
»Am folgenden Tag wurde die Station von Streitkräften der Dritten Ära oder von jemandem, der sich als Dritte Ära getarnt hatte, angegriffen. Abgesehen von einem ziemlich unwahrscheinlichen Loch in den Sicherheitsvorkehrungen gibt es auch hier nichts Ungewöhnliches. Nur, daß deine persönliche Lebenslinie die Dino-Strand-Station zu einem Zeitpunkt, elfhundert Jahre später als der von mir beobachtete Überfall, vollkommen intakt zeigt.«
»Ganz recht. Und soweit ich weiß, war in den Aufzeichnungen der Station nicht ein einziges Mal die Rede von einem Überfall, weder tausend Jahre, bevor ich mich dort zum Dienst meldete, noch zu einer anderen Zeit. Ich müßte es nämlich wissen. Ich habe mich, als ich der Station zugeteilt wurde, eingehend mit ihrer Geschichte befaßt.«
»Du hast nicht zufällig eine Eintragung entdeckt, in der ein Außenagent namens Ravel vermißt gemeldet wurde?«
»Wenn dem so wäre, dann habe ich es vergessen. Der Name hatte ja keine Bedeutung für mich – damals.« Ihre Augen wichen mir aus.
»Dann haben wir es also mit einer ausgewachsenen Deviation zu tun. Entweder deine Vergangenheit wurde abgebrochen oder meine. Die Frage ist nur: Welche von beiden Alternativen gehört zum wirklichen Zeitstamm?«
»Ungenügende Daten.«
»Sehen wir uns den nächsten Punkt an: Nel Jard hat mit Hilfe eines mir unbekannten Notsystems die ganze Station aus ihrem entropischen Zusammenhang gehoben und an einen Ort versetzt, den man als achronische Vakuole bezeichnen könnte. Was das bedeutet, weiß ich nicht.«
»Daß Jard das getan hat, vermutest du nur«, wandte Mellia ein. »Möglicherweise war er es gar nicht. Möglicherweise hat gerade zu jenem Zeitpunkt eine andere Macht eingegriffen, um seine Aktionen zu erschweren oder zunichte zu machen. Hat er zu dir etwas gesagt, was dich zu der Annahme führte, daß er es so wollte?« Mit dem Kopf deutete sie auf den stillen Raum, in dem wir saßen, und auf die geisterhafte Leere draußen.
»Er hat irgendwas über Null-Zeit gesagt, aber was, habe ich nicht verstehen können. Ich dachte, er hätte vor, die Station zu zerstören, damit sie dem Feind nicht in die Hände fiel.«
»Auf jeden Fall wurde die Station versetzt – hierher.«
Ich nickte. »Und als ich meinen Notsprungmechanismus benutzte, kam ich hierher zurück. Das wäre wohl eigentlich zu erwarten gewesen. Ich war auf die Frequenz der Station abgestimmt; der Mechanismus diente dazu, mich von jedem Raum-Zeit-Punkt nach Hause zu holen.«
»Und du hast die Station leer vorgefunden – genau wie jetzt.«
»Ja. Ich möchte wissen …« Suchend sah ich mich im Zimmer um. »Ich möchte wissen, ob mein letzter Besuch vor diesem stattgefunden hat oder
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