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Zeit und Welt genug

Titel: Zeit und Welt genug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Kahn
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»führt mich an den Abgrund.«
    Er ließ sich erweichen.
    »Viel braucht es heute nicht, meine kleine Nymphe, einen Becher voll, vielleicht …« Er zog sie auf den Schoß und legte zwei Finger an ihren Halsschlagaderpuls. »Dein Herz jagt ja schon mit hundertzwanzig …«
    »Nur meine Erregung, Blut-Sire …«
    »Ich werde heute nicht viel nehmen, Kleines. Wenn dein Puls hundertfünfzig erreicht, höre ich auf, ganz gleich –«
    »Ich flehe Euch an …« Sie schob die Hand zwischen seine Beine, um seine Mannheit zu ergreifen, während er lasziv lachte, seine Reißzähne in ihren Hals schlug und sie bewusstlos trank.
     
    Jasmine versuchte sich für das Angebot eines Straßenverkäufers zu interessieren – ein Neuromensch, der Transistoren-Bauteile verkaufte, vermutlich aus toten Neuromenschen geraubt –, während sie das Tor zur Inneren Stadt im Auge behielt. In der Hauptsache gingen Neuromenschen in Amtskleidung aus und ein, aber selbst jene ohne Uniform zeigten dem Zerberus am Tor eine Marke – und Jasmine hatte keine Marke. Sie fragte sich, wie sie hineingelangen sollte. Mit List? Über die Mauer? Die Lösung kam unerwartet.
    Auf der Krone der Innenmauer, fünf Meter hoch, war ein lautes Zischen und Knistern zu hören. Aller Augen blickten hinauf. Auf der Festungsmauer lag ein zuckender Mensch, in einem breiten Geflecht dünner elektrisch geladener Drähte gefangen. Erst jetzt sah Jasmine, dass die Drähte ein Netz über der ganzen Stadt bildeten. Sie führten von der Außenmauer über die Innenmauer bis zu den Burgtürmen. Der Mensch, der über die Mauer hatte fliehen wollen, war auf der Stelle vom Strom getötet worden.
    Das war für Jasmine eine wichtige Erkenntnis. Erstens war sie dadurch auf die Existenz des dünnen Gitters über der Stadt aufmerksam geworden – dünne Drähte, die sich in Abständen von sechzig Zentimetern kreuzten und jeden Zu- und Ausgang außer durch das große Tor verhinderten. Kein Wunder, dass sie keinen der Vampire hatte fliegen sehen; sie dankte ihrem gesunden Verstand, dass sie Lon daran gehindert hatte, hochzufliegen und über die Mauer zu blicken. Zweitens gab es elektrischen Strom – eine große Energiequelle, erzeugt vermutlich vom Fluss.
    Der tote Mensch war funkenübersprüht, seine Kleidung stand in Flammen. Auf beiden Seiten der Mauer führte das zu Unruhe. Alle Wesen in der Umgebung – auch die Wachen am Tor – drängten sich zusammen und versuchten die Leiche herunterzuziehen. Jasmine benützte die Gelegenheit dazu, unbemerkt in die Innere Stadt zu schlüpfen.
    Die Innenstadt war kleiner als die äußere, aber nicht weniger überfüllt. Die Bewohner waren fast ausschließlich Neuromenschen, zum Teil in Uniform. Man sah keinen Vampir. Ab und zu tauchten Menschen auf, an Leinen oder in Käfigen. Eine Reihe von Klonen – zumeist in Dreier- oder Vierergruppen – lief durch eine Vielzahl von Straßen, die alle zur Festung zu führen schienen.
    Jasmine wanderte umher, die Ohren gespitzt, während sie die Burg aus den Augenwinkeln beobachtete. Sie hielt sich möglichst in der Nähe von Gruppen gesprächiger Neuromenschen oder Klone auf und erfuhr so wichtige Einzelheiten über die Burg und den Ablauf des Lebens in der Stadt. Die Festung wurde bewohnt von der Königin und ihrem Rat. Jasmine verstand darunter das neue Tier und die genetischen Ingenieure, die es erschaffen hatten. In der Burg hielten sich ferner auf die Neuromenschen-Techniker und Verwalter der Stadt – daher die Uniformen. Die Balors waren ebenfalls in der Burg untergebracht: geheime Räume im Hauptturm, wo Experimente an Menschen durchgeführt wurden. Schließlich – und dies war das Wichtigste – erkannte Jasmine, dass nur bestallte Neuromenschen in dienstlichem Auftrag die Burg selbst betreten durften. Wenn sie hineingelangen wollte, brauchte sie amtliche Papiere.
    Das war nicht ganz so schwierig, wie man hätte befürchten müssen, und zwar aus einem einfachen Grund: Die Neuromenschen waren in Modellreihen aufgeteilt. Jasmines Modellnummer lautete AR/83075. Durch die Straße gingen Dutzende von Neuromenschen derselben Baureihe, die zumindest eine gewisse äußere Ähnlichkeit mit ihr besaßen; eine Anzahl aus demselben Baujahr, so dass geschwisterliche Ähnlichkeit gegeben war, und vereinzelt ein Neuromensch, der dieselbe Prägung hatte. Jasmine folgte einem von diesen.
    Wie der Zufall es ergab, betrat ihre Doppelgängerin eine kleine Kneipe mit dem Namen ›Die Oligodendro-Zelle‹ – ein

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