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Zeit und Welt genug

Titel: Zeit und Welt genug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Kahn
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Teppich verrann. Sie brauchte fünfzehn Minuten, bis sie tot war.
    Jasmine regte sich zwanzig Minuten lang nicht, um volle Gewissheit zu haben. Als für sie feststand, dass in Elektra kein Leben mehr war, stand sie auf und sah sich die Wohnung an.
    Ein Zimmer. Bett, Tisch, zwei Stühle, zwei Lampen. Waschbecken, Bücherregale, Schränke. Ein Telefon. Sie ging alle Schränke durch: Dosen Hämo-Öl, Polysaccharid-Nahrung, Haushaltsgeräte, Seife, ein Satz Petrischalen, ein Gerät für sexuelle Betätigung, Ersatz-Glühbirnen, zwei Flaschen Parfüm, ein defekter Rechenschieber und ein leerer Bilderrahmen. Dann die Bücher: fast ausnahmslos alte Genetiktexte, dazu ein Atlas der menschlichen Anatomie.
    In der Ecke stand ein kleiner Elektroofen mit Bakterienkulturen, am anderen Ende des Raumes etwas, das nach einem ziemlich großen Abfallbehälter aussah, Jasmine hob den Deckel, um hineinzusehen, aber zu ihrer Überraschung war er ohne Boden. Oder doch fast. Sie leuchtete mit einer Stablampe hinein, die sie in einer Schublade fand, und sah, dass der Behälter der obere Teil einer Röhre war, die senkrecht an die fünfzehn Meter hinabreichte. Unten glänzte etwas. Jasmine glaubte strömendes Wasser zu erkennen. Auch ihr Glück strömte: Sie suchte und fand in der Röhre eine dünne Sprossenleiter, die offenbar ganz hinunterreichte. Sie steckte die Lampe in den Gürtel, stieg in die Röhre und stieg die Sprossen langsam hinab.
    Es ging weiter hinunter, als sie gedacht hatte. Nach der Entfernung zwischen den Sprossen, je Schritt eine Sprosse, waren es fast dreißig Meter, bis sie den linken Fuß in das sprudelnde Wasser steckte. Sie zog ihn hoch und knipste die Lampe an.
    Sie sah einen Tunnel, an die fünf Meter breit, im Gestein ausgehöhlt. Das Wasser, über einen halben Meter tief, strömte rasch dahin und beförderte Abfall jeder Art: durchnässtes Papier, tote Tiere, Vampirkot, Maschinenteile, zerbrochene Flaschen, organische Stoffe. Es roch auch nicht sonderlich gut.
    Darauf hatte Jasmine gehofft: die Kanalisation. Vermutlich Zuflüsse – künstliche oder natürliche – des Stroms; vermutlich wurde dies alles ins Meer hinausgeschwemmt. Sie stieg hastig wieder hinauf.
    Oben zog sie sich aus und warf ihre Sachen hinunter. Dann entkleidete sie Elektra und legte die Uniform auf das Bett. Sie fand in einer Schublade eine Rolle Kupferdraht, entrollte an die zehn Meter, trennte sie ab und umwickelte die Leiche mit den letzten dreieinhalb Metern Draht, in den sie einen starken Knoten machte. Schließlich hob sie die Tote auf die Schulter und stieg damit die Röhre hinunter zum Abwasserkanal. Unten warf sie die Leiche in das fließende Wasser, wo sie in der Strömung langsam über den steinigen Boden holperte. Das andere Ende des Kupferdrahts wickelte Jasmine um die unterste Sprosse, so dass die Leiche nach einer dunklen Biegung in fünf Metern Entfernung an der Leine hing. Jasmine kletterte wieder nach oben, wusch sich und zog Elektras Kleidung an.
    Sie blätterte in den Papieren, die sie aus der Mappe zog, aber das meiste war technisch über ihrem Horizont. Sie steckte die Ausweiskarte ein, dann dachte sie fünf Minuten lang nach. Wenn sie einfach so tat, als gehöre sie dorthin, wo sie auftauchte, würde man sie kaum auf Herz und Nieren prüfen. Dass bisher alles so glatt gegangen war, ermutigte sie. Sie holte tief Luft, stand auf, ging hinaus und bog nach rechts ab, zur Burg.
    Sie überquerte die Brücke, die der Burg am nächsten war und den Fluss überspannte, kurz bevor dieser unter der Erde verschwand und unter dem Bauwerk weiterzufließen schien. Als sie das Westtor zur Festung erreichte, zeigte sie der Wache gleichgültig den Ausweis vor und wurde eingelassen.
    Ein Klopfen an der Tür. Renfield öffnete sie mit der Würde, die ihm nach seinem Dienstalter unter der Dienerschaft gebührte. Auf der Schwelle stand ein vornehmer Vampir.
    »Ihr wünscht, Sire?« fragte Renfield.
    »Dein Herr ist Sire Bal?« fragte Lon den Diener.
    »Ja, Sire.«
    »Ist er zu Hause?«
    »Ja.« Der Diener war höflich, aber reserviert.
    »Dann melde mich. Ich bin Sire Lon«, sagte er und betrat den Vorraum.
    Renfield verließ den Raum, um den Besucher zu melden. Kurz danach erschien Bal.
    »Lon-Sire«, sagte er.
    »Lange her«, sagte Lon mit einem Nicken. Sie entblößten voreinander die Hälse.
    »Kommt mit ins Arbeitszimmer«, sagte Bal, »und erklärt mir, wie ich zu der hohen Ehre komme.«
    Sie gingen durch ein Schlafzimmer in ein Studio

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