Zeit und Welt genug
Skalpelle, Injektionsspritzen und andere Geräte heraus, die sie einsteckte. Schließlich vergewisserte sie sich, dass der Abfallbehälter auch hier direkten Zugang zur Kanalisation hatte.
Danach setzte sie sich hin und studierte eine halbe Stunde lang die Planzeichnung. Als sie überzeugt war, sich alles eingeprägt zu haben, steckte sie den Grundriss zusammen mit dem Telefonheft in ihren Uniformrock und ging hinaus.
Sie schritt durch den Korridor zurück, den sie heraufgekommen war, fand eine Treppe und stieg ein Stockwerk höher. Hier wurde sie im Gedränge durch einen der Hauptkorridore der Burg geschoben. Sie ging mit, bis sie Zimmernummern und Schilder sah, die ihr weiterhalfen. Sie stieg erneut eine Treppe hinauf und ging durch zwei Flure – zu den Unterkünften der Menschen.
Bis dahin hatte niemand sie aufgehalten. Sie wirkte ganz wie jemand, der hierhergehörte. Offenbar hatte nie jemand versucht, in die Burg einzudringen, so dass sie auf die Nachlässigkeit und Unbekümmertheit ihrer Gegner zählen durfte. Sie trat unbekümmert ein.
Es schien sich um ein Gefängnis zu handeln. Die Wände waren vom Boden bis zur Decke mit vergitterten Zellen ausgefüllt. Vier Menschen hielten sich in jeder Zelle auf. Manche saßen mit leerem Blick in Ecken, andere starrten verzweifelt durch die Gitter hinaus. Alle schienen dem Verhungern nahe zu sein. Beim Eingang saßen zwei Neuromenschen und spielten Karten. Drei mikrozephale Klone gingen herum, kehrten den Boden, trugen Tabletts mit Nahrung zu den Zellen, leerten Abfall in den großen Behälter an der Tür.
Jasmine ging auf den Tisch zu, an dem die beiden Neuromenschen saßen.
»Hallo«, sagte sie. »Vielleicht könnt ihr mir helfen.«
»Ganz bestimmt«, sagte einer und grinste sie lüstern an.
Jasmine beschloss, auf ihn einzugehen.
»Davon bin ich überzeugt«, erwiderte sie vielsagend. Die Neuromänner tauschten Blicke. »Hört mal, ich bin neu hier und arbeite für Drago, der zur Zeit in Ma’ Gas’ ist. Wenn er zurück ist, will er die Namen von fünf oder sechs Menschen aus der Gegend um Monterrey, hat er mir gesagt. Er will ihre Leber auf Azetylase prüfen, weil dort besonderer Boden ist. Wie stelle ich es an, Menschen aus Monterrey zu finden?« Sie lächelte den ersten Neuromann hoffnungsvoll an.
»Kann nicht so schwer sein.« Er zwinkerte ihr zu. »Komm mit.« Er stand auf und ging in einen Nebenraum, gefolgt von Jasmine.
Er zog eine große Karteischublade heraus und blätterte.
»Monterrey, Monterrey … ah, ah, Monterrey. Alle Menschen aus Monterrey. Namen, Alter, Tag der Ankunft, Zustand. Schau selber nach.«
Sie tat es. Es waren in den letzten vier Monaten fünfundachtzig Namen. Dicey und Ollie waren nicht dabei. Es gab zwei Frauen, die Rose hießen. Die eine war zweiundsechzig Jahre alt. Bei der anderen trafen die Daten zu, aber die Karte war rot mit ›Ents‹ gestempelt.
»Was heißt ›Ents‹?« fragte Jasmine.
»Letzte Entseuchung. Das ist der letzte Schritt vor dem Nirwana. Nur die für das Experiment der Königin ausgewählten Menschen nehmen diesen Weg. Die hier, mal sehen …« er blickte auf die Karteikarte von Rose, »sie ist vor Tagen hinaufgeschickt worden, hilft dir also nichts. Natürlich weiß keiner, wie lange die Entseuchung dauert …« Er legte die Hand verstohlen auf ihr Gesäß.
Sie stieß die Schublade zu und sah ihn an.
»Du warst sehr zuvorkommend«, sagte sie freundlich, »aber das sind einfach zu viele Namen. Ich muss Drago fragen, wenn er wieder da ist.«
Der Aufseher ließ seine Hände wandern. Sie nahm einen Kuss hin, dann schob sie ihn mit gespieltem Zögern weg.
»Treffen wir uns heute um 22.00 Uhr. In Dragos Labor.« Sie lief hinaus und lächelte kurz, als sie an das wenig passende Rendezvous um 22.00 Uhr dachte.
Sie entsann sich der Lage des Entseuchungslabors auf dem Plan: dritter Stock Mitte. Sie ging hinauf, aber an der Tür zu den Fluren dort stand: KEIN ZUTRITT OHNE GENEHMIGUNG. Sie versuchte trotzdem die Tür zu öffnen. Diese war abgesperrt. Auf der Treppe gingen unaufhörlich Leute auf und ab, so dass sie sich auch nicht bücken und das Schloss mit dem Draht öffnen konnte. Sie stieg wieder hinunter.
Sie ging eine Stunde herum, ohne eigentliches Ziel, ohne Neues in Erfahrung zu bringen, bis sie im Westflügel zu einer kleinen Tür mit der Aufschrift GESUNDHEITSAMT kam. Sie blieb stehen, dachte kurz nach und trat ein.
Sie befand sich in einem kleinen Büro, einem Vorzimmer zu einem anderen
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