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Zeit und Welt genug

Titel: Zeit und Welt genug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Kahn
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die Leute gleiten, sah aber keine Spur von Unglücksfällen. Wo mochte er sein? Er rief sich in Erinnerung, was er über sie wusste, aber es war nirgends die Rede davon gewesen, dass Unglücksfälle Bordelle besuchten. Die schwarze Katze hob den Kopf. Ihre fremdartigen Augen hielten Joshuas Blick einen langen Moment fest, dann sprang sie vom Sofa und verschwand. Als Josh schon im Begriff stand, es in einem anderen Zimmer zu versuchen, kam ein hübsches Mädchen auf ihn zu. Sie war nicht größer als einszwanzig, trug ein durchsichtiges kurzes Hemd und zeigte ein schwaches Lächeln, das gleichzeitig scheu und lüstern war.
    »Suchst du mich?« fragte sie. Ihre Stimme klang, als zerbräche Kristall in einem schallgedämpften Raum.
    Josh wollte den Kopf schütteln, überlegte es sich aber anders und beschloss, etwas zu wagen.
    »Wie heißt du?« fragte er.
    »Meli.« Sie lächelte. »Tanzt du mit mir?«
    Er lächelte ebenfalls.
    »Du bist also eine Dryade«, sagte er und nickte. Ihr Name verriet genug. »Was macht eine Baumnymphe in einem …«
    Ihr Gesicht leuchtete auf wie Herbstfeuer.
    »Ich wusste, du bist ein Jäger«, rief sie. »Du kennst den Wald, das spürte ich.« Sie tanzte einmal um ihn herum, dann presste sie ihren winzigen Körper an den seinen. »Bring mich zu Zimmer 17 hinauf«, flüsterte sie keck.
    Die Alte kam heran.
    »Hast du was gefunden, das dir gefällt, Verdruss?«
    Josh kramte in seinem Gürtel und zog eines der fünf Goldstücke aus dem Futter. Die Alte untersuchte die Münze im Kerzenschein und biss hinein.
    »Damit kannst du dir eine Menge Verdruss kaufen, Junge«, sagte sie, lachte schallend und schlug ihm auf den Hintern. Er revanchierte sich, und sie lachte noch lauter. Dann griff Josh nach Melis Hand. Sie stiegen die Treppe hinauf.
     
    Beauty trabte um die Gebäude herum, sah aber nichts, was sonderlich interessant gewesen wäre. Zwei kleine Holzhütten, ein Wasserloch, ein mittelgroßer Garten, ein paar Ziegen und Schafe. Alles ganz harmlos.
    Er hoffte, den Unglücksfall alleine zu erwischen, ohne Josh. Er konnte das Untier rasch zum Reden bringen und es ebenso rasch töten. Menschen zögerten bei diesen Dingen zu oft. Sie hatten zu viele Motive, zu viele Hemmungen. Und die Schreiber waren die schlimmsten.
    Beauty war froh darüber, ein Zentaur zu sein. Zentauren besaßen die Gabe des Gleichgewichts – körperlich, geistig, seelisch. Sie standen auf der Erde in der Haltung wie im Wesen für Anmut. Das war wohl bekannt. Ihr Geist strebte unaufhörlich nach der Stelle am Himmel im Sternbild Centaurus, wo, wie man wusste, Gott lebte. Aber das wichtigste für Beauty war, dass die Zentauren eine Geschichte hatten.
    Eine uralte, vornehme Geschichte. Sie reichte Jahrtausende zurück, zur Geburt der Tiere, zu den frühesten Tagen, nachdem die Kontinente sich gebildet hatten. Eine Geschichte von Helden, Mythen, Prinzipien und – natürlich – Gleichgewicht. Es war ein Erbe, von Verantwortung belastet. Er trug es mit Stolz.
    Nicht wie manche von den anderen Tieren, die man herumkriechen sah. Tiere, die man einmal sah und dann vielleicht nie wieder. Einmalige Erscheinungen ohne Vergangenheit oder Zukunft. Abschaum. Strandgut. Wie die Unglücksfälle.
    Der Gedanke an das scheußliche Untier holte Beauty in die Gegenwart zurück, zu seinem Entschluss. Er hob die Nase in die Luft. Der Wind begann sich wieder zu erheben, wenn auch noch nicht so stark, dass er die Flügel der Windmühle hinter der Scheune schon bewegt hätte. Er ging zur Stallung und öffnete die Tür.
    Im Inneren wurde er von einem mürrischen alten Mann begrüßt, der sein Silberstück in Empfang nahm und ihm mitteilte, eine Stunde lang stehe ihm jede Box zur Verfügung. Beauty dankte knapp und begann sich umzusehen.
    Es war ein großer, L-förmiger Bau, an den Wänden Boxen aus grob behauenen Balken. Papier und Stroh lag auf dem nackten Erdboden herum, alle eineinhalb Meter brannte eine Kerze. Drei offene Fenster in Deckennähe sorgten allein für Lüftung und ließen qualliges, wächsernes Mondlicht herein.
    Beauty tat ein paar Schritte und öffnete die Tür zur ersten Box. Eine hübsche braune Stute stand dort, die großen braunen Augen voller Angst. Beauty lächelte und wich zurück. In der nächsten Box lag eine massige Frau auf dem Rücken im Heu, das Kleid offen, die Zähne gelb.
    Als nächstes kam ein Pferdemensch-Mädchen – Kopf und Oberkörper einer Frau auf den aufrechten Hinterbeinen; mit dem Schwanz eines Pferdes,

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