Zeit und Welt genug
war sie die unfruchtbare Kreuzung zwischen einem Zentauren und einem Menschen. Beautys Kind mit Rose hätte so ausgesehen. Beauty starrte aus den Tiefen seiner eigenen verlorenen Zukunft in die Augen des Mädchens. Sie stieß ihren Huf in die Erde, warf die Haare zurück, gab einen Laut von sich, halb Lachen, halb Wiehern, spitzte die Lippen zum Kuss, rieb sich die Brüste und ließ die Hand klatschend auf ihr Pferdegesäß sausen. Beauty zog sich zurück.
In den beiden nächsten Boxen hielten sich Zentauren auf, alt und räudig, dann kamen ein Rotschimmel-Hengst, der eine graue Zentaurin bestieg, danach ein paar leere Boxen, ein Junge, eine alte Frau, zwei Ponys. Keine Spur von dem Unglücksfall.
Er kehrte in die Box mit dem jungen Pferdemensch-Mädchen zurück und schloss die Tür.
»Hei-i-i-i«, wieherte sie und fuhr mit den Händen über das Haar an seinen Flanken.
Er beugte sich vor und saugte an ihrem Hals.
»Ich will nur etwas wissen«, flüsterte er.
Josh schloss die Tür von Zimmer 17, ging zum Bett und setzte sich, während Meli wie ein Blatt im Wind über den Boden tanzte.
»Bist du immer so glücklich?« fragte Josh. Er hatte noch nie gehört, dass eine Dryade anderswo lebte als im Wald.
Sie huschte auf ihn zu und setzte sich federleicht auf sein Knie.
»Das ist mein Zimmer«, sagte sie vertraulich. Sie sprang auf den Boden hinunter und vollführte eine Pirouette.
»Aber warum bist du nicht im Wald bei –«
Sie sprang hoch, stieß ihn auf das Bett und setzte sich auf seinen Brustkorb.
»Das ist mein Bett«, sagte sie leise. Er wollte antworten, aber sie legte zwei Finger auf seinen Mund. »Mein Baum«, sagte sie. »Sie haben meinen Baum gefällt, um das Bett daraus zu machen.« Joshua blickte in ihr offenes Gesicht und nickte. Jede Nymphe hatte einen Baum, so hieß es, mit dem sie Besonderes verband. Manche behaupteten, eine Dryade verwelke, wenn ihr Baum starb.
Er fuhr mit der Hand über das glatte Eschenholz. Sie stieg von seiner Brust und legte sich neben ihn.
»Jäger verstehen die Bäume«, sagte sie halblaut, umarmte ihn und streichelte seine Brust.
»Und du verstehst, was es heißt, etwas Geliebtes zu verlieren«, erwiderte er. Er brauchte ihre Hilfe und erkannte sofort die Möglichkeit, ihr Mitgefühl zu gewinnen. Sie hob den Kopf und knabberte an seiner Brust. Er fühlte sich ein wenig schläfrig. »Ich habe etwas verloren«, fuhr er fort, »etwas, das mir nahe stand wie dir dein Baum.«
»Wie schrecklich«, sagte sie ernst.
»Es ist mir sogar gestohlen worden. Mitten in der Nacht.« Er zwang sich, nicht direkt an Dicey zu denken; es war zu qualvoll, und er musste kaltblütig bleiben. Meli reagierte jedoch auf Joshuas unterdrückte Gefühle und ihre eigenen, die sie so deutlich spürte. Ihre Augen füllten sich mit Tränen.
»Was war es?« fragte sie schüchtern und fürchtete sich vor seiner Antwort, weil sie das Bild zu verdrängen versuchte, wie ihr Baum gefällt worden war.
»Meine Liebste«, flüsterte er. »Meine Braut.« Er presste die Lippen fest zusammen.
»Wie schrecklich«, wiederholte sie. Sie glättete mit den Fingerspitzen seine Stirn. »Wer hat sie gestohlen? Kennst du den Mann?«
Wieder zwang er seine Gedanken fort von der Qual, hin zur Rache.
»Das Wesen, das es getan hat, ist hier«, antwortete er. »Es versteckt sich. Meli, du musst mir helfen, es zu finden.«
Sie wurde plötzlich von Angst erfasst, von Ungewissheit. Ein Dutzend Ängste stürzte sich gleichzeitig auf sie, vereinigte sich an ihrem verlorenen Baum, ihrem verlorenen Leben.
»Aber wenn sie nun tot ist?« rief sie.
Josh wollte diesen Gedanken nicht zulassen – man hatte Dicey nicht entführt, nur um sie umzubringen.
»Nein«, sagte er kategorisch. »Außerdem … wir sind Schreiber.«
Meli wirkte halb erleichtert, halb verwirrt.
»Ich habe einmal einen Schreiber gekannt«, sagte sie mit einem Nicken. »Was ist ein Schreiber?«
»Wir lesen und schreiben«, erwiderte er. »Wir glauben an die Macht des geschriebenen Wortes. Wir lernen aus Büchern. Wir glauben, dass Gott das Wort ist. Wörter sagen uns alles. Wenn wir etwas Wichtiges lernen, schreiben wir es nieder, dann lebt es ewig, und in tausend Jahren können es andere Schreiber lesen und kennen lernen wie wir.« Er schwieg kurze Zeit. »Deshalb wird Dicey nicht sterben. Weil ihr Name geschrieben steht. Selbst wenn ihr Leib zerstört wird, kann ich ihr Leben in der Schrift niederlegen, und sie wird so lange leben wie die Wörter.
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