Zeit und Welt genug
darauf. Die Menschen ließen die Bakterien auf die Ölpest los, und die Bakterien fraßen das ganze Erdöl von der Wasseroberfläche.«
Josh war völlig gefesselt. Hier hatte er eine wahre Geschichte vor sich, eine von Zauberern, die Magie betrieben, gewaltige Hexenkunst – durch Schreiben. Indem sie die unnennbare okkulte Macht der geschriebenen Worte ergriffen und sich unterwarfen. So soll es geschrieben stehen, so soll es geschehen. Er hatte Geschichten von einer Zeit gehört, in der jedermann lesen konnte, sie aber immer als Erfindungen angesehen. Lesen und Schreiben war nach seinem Glauben eine uralte, auf ein paar Privilegierte beschränkte Kunst. Jedenfalls hatten Eltern und Freunde ihm das eingeredet. Mehr noch: Obwohl er Dinge tun konnte, die anderen magisch erschienen, wusste er, dass auch jeder andere sie lernen konnte – wenn man des Lesens kundig war. Aber hier hörte er nun eine Geschichte von prähistorischen Schreibern, die mit ihrer Religion echte Magie bewirkt hatten. Aber vielleicht würde dieser Eindruck sich verflüchtigen, wenn ich nur ihre Schrift verstehen könnte, dachte Josh. Er nahm sich vor, alte Sprachen zu lernen.
Beauty achtete alle Magie, wenn sie echt war, wusste aber nicht, ob er das glauben sollte oder nicht, was er jetzt hörte. Es klang stark nach Schreibkunst, die ihn mit tiefer Skepsis erfüllte. Er hatte im Lauf der Jahre ganz unterschiedliche Darstellungen der Welt Vor dem Eis gehört. Eine Geschichte war phantastischer als die andere: Berichte von Tieren, die nicht sprechen konnten; von unsichtbaren Reichen; von Schiffen, die zum Mond fliegen konnten. Aber so, wie Jasmine sich ausdrückte, hörte sich das an, als hätte sie wirklich gesehen, was sie schilderte. Beauty begann die Neurofrau erneut in einem ganz anderen Licht zu sehen.
Jasmine erkannte, dass sie ihre Zuhörer in Bann geschlagen hatte, und erzählte weiter.
»Eines Tages gab es eine Ölpest. Die GI – also die Gen-Ingenieure – streuten ihre Spezialmikroben über das Öl, und das war die Katastrophe. Die Bakterien breiteten sich nämlich aus. Mit einer kleinen Ölpest waren sie nicht zufrieden. Sie breiteten sich auf dem Wasser aus und infizierten Öltanker, Bohr-Plattformen, Pipelines. Ganz rasch entstand eine Epidemie, und bis man sich umsah, bis jemand ein wirksames Gegenmittel fand, waren fast das ganze Erdöl und Erdgas auf der Welt verschwunden. Die Lichter gingen aus.
So habe ich meinen einundzwanzigsten Geburtstag in Erinnerung – Kerzenlicht und warmes Bier. Die Kühlschränke fielen auch aus. Nun, im Lauf der nächsten Jahre gab es langsam wieder Energie. Man verbesserte Windmühlen-Generatoren, Solarkollektoren, Gezeitenturbinen, Akkumulatoren, geothermische Anlagen, Abfall-Methan-Umwandler, Äthanolmotoren. Bis ich das Medizinstudium hinter mir hatte, war der Aufschwung wieder da. So sah es aus, als ich einstieg – ein paar technologische Kalamitäten bremsten den Fortschritt, erzeugten aber neues Interesse an einfallsreichen Alternativen.
Segelschiffe kamen wieder in Mode, ebenso die nächste Nachbarschaft. Und Pferde. Jeder brauchte wieder ein Pferd, wenn er herumkommen wollte. Aber zunächst gab es einfach nicht genug davon, nicht für jeden eines, und die Gestüte konnten sie gar nicht rasch genug liefern. Daraufhin wurde das Klonen vervollkommnet – die GI bekamen eine Aufgabe gestellt und erwiesen sich ihr gewachsen. Sie lernten, wie man innerhalb von fünfunddreißig Tagen im Labor aus einem Pferd ein voll ausgewachsenes Füllen klonte. Ihr könnt euch die Fließbandarbeit vorstellen. Nach zwei Jahren hatte jeder Mensch ein Pferd.«
»Was ist ein Klon?« fragte Josh.
»Ach ja. Also, Klonen ist eine Methode, in die einzelne Zelle irgendeines Wesens das richtige Codewort in die Gen-Botschaft zu schreiben. Die Zelle vervielfacht sich dann und wächst zu einem genauen Ebenbild des ursprünglichen Wesens heran. Das wurde später sehr wichtig – als ich ungefähr dreißig war. Da zeigte sich, dass es seit dem Unglück von Oceanspring wegen der Strahlung viele Menschen gab, die entweder gar keine oder nur missgebildete Kinder bekommen konnten. Sehr viele Menschen. Also sagte man sich, wenn man Pferde klonen kann, dann auch Menschen. Sie waren durch die Technologie um Nachkommen betrogen worden und wollten sich nun außergerichtlich vergleichen. Sie wollten, dass von ihnen etwas weiterlebte, wie alle Wesen das wollen. Sie verlangten ein Stück Unsterblichkeit. Und plötzlich sagte man
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