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Zeit und Welt genug

Titel: Zeit und Welt genug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Kahn
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hatten.
    »Es war Kampf«, sagte Josh. »Es geschah mit Recht.«
    »Nicht, wenn euer Auftrag ohne Recht war«, warf Jarl ein. Seine ungeduldige Stimme brachte sogar das Laub zum Schweigen. »Ich habe den Eindruck«, erklärte er, als habe man ihn um Antwort gebeten, »dass es eigentlich um das Recht eurer Reise geht. Leumundszeugen dafür oder dagegen spielen eigentlich keine Rolle. Was diese Körperschaft entscheiden muss, ist die Frage, ob ein Unternehmen Gültigkeit hat, das eng mit Rache-Recht zusammenhängt. Meine Meinung dazu ist klar. Es ist nicht berechtigt, es muss ein Ende haben. Es gehört zu dem menschlichen Bestreben, andere zu beherrschen, und hat in einer freien Tierwelt keinen Platz.«
    »Darf ich bescheiden vortragen, Euer Ehren, dass Eure Jahre als Gefangener der Menschen, gezwungen, vor höhnischen Zuschauern zu tanzen, Euren Blick beeinflusst haben.« Nur Jasmine wagte es, auf diese Weise gegen Jarls gewaltige Vision aufzutreten. »Euer Ehren«, fuhr sie beinahe herausfordernd fort, »bei Euch klingt das beinahe rachsüchtig.«
    Jarl richtete sich zu voller erschreckender Größe auf. Kein Tier wagte zu atmen.
    »Du verspottest mich, Schwester«, flüsterte er.
    »Sie hat es nicht so gemeint …«, begann Beauty erschrocken.
    »Ich wollte Jarl, dem Weisen, zeigen, dass Rache relativ ist, wie die Zeit«, sagte Jasmine mit lauter Stimme. »Tiere kennen nur die Gegenwart. Die Menschen stehen zu ihrem Leid auf dem flüchtigen Augenblick wie auf einem Gipfel und sehen von dem bröckelnden Abgrund aus hinter sich in die Vergangenheit, tief unter sich die Zukunft. Es ist ein schwindelnder Anblick, Euer Ehren, von einer einsamen Stelle aus.« Irgend etwas in ihren Worten packte sie alle -Geschworene, Zuhörer, Richter. Etwas, das die Fremdartigkeit ihrer Worte vertraut machte. »Ein Tier ringt im Jetzt – es isst, liebt, kämpft. Für einen Menschen reicht das Ringen so weit, wie man in alle Richtungen blicken kann: Eine vergangene Schlacht gleich dort drüben in der Landschaft, drei Wochen unterhalb des Berges, ist im Südlicht so klar oder noch klarer wie die im wolkenverhangenen Augenblick tobende Schlacht des Augenblicks, auf dem er steht. Und dort, dort führt ein gewundener Pfad von der vergangenen Schlacht hinauf über den Gipfel hinunter in ein Zukunftstal. Die beiden Ereignisse sind aber durch Vergangenheit und Zukunft verbunden, und Rache ist einer von tausend Pfaden, die von einer zur anderen führen.«
    Das Bild war allen gebannten Massen vertraut, aber keinem mehr als Josh.
    »Und die Schreibkunst ist ein weiterer«, murmelte er erstaunt.
    Jasmine nickte.
    »Die Religion der Schreibkunst ist einer der ältesten menschlichen Wege über den Berg. Mit ihr sind riesige Weiten der Vergangenheit vermessen und zahllose künftige Wege berechnet worden. Früher wurde diese Straße oft begangen, bis sie sich unter zu vielen Pfaden verlor, und jetzt ist sie nur noch eine unter tausend.
    Die Religion war stets ein beliebter Weg der Menschen, die Hänge von Geschichte und Schicksal miteinander zu verbinden. Ebenso die Magie. Und die Genealogie. Oder Astrologie, Staaten und Kreuzzüge. Und Rache. Alle befinden sich mit einem Fuß auf jeder Seite des Gipfels und verbinden die beiden nie ganz erreichbaren Städte – Vorher und Nachher.
    Und jedes Tier hier kennt diesen Weg.« Sie richtete den Blick der Reihe nach auf alle Geschworenen, auch auf Jarls sie hoch überragendes Gesicht.
    Beauty spürte Jasmines Worte wie einen Speer in seiner Brust. Sie verstärkten seine Angst und Verwirrung noch, was die menschlichen Ursprünge der Zentauren anging. Joshua hatte das deutliche Gefühl, auf dem Gipfel zu stehen und die Szene zu betrachten: die Wesen, manche tot, andere noch ungeboren; die Träume, die Erinnerungen, die Pläne – ringsum ausgebreitet, unter ihm sanfte Ebenen, schroffe Abgründe, steile Abstürze, ferne Schatten. Er fühlte sich schwindlig.
    Und jedes Tier dort kannte die Erhebung mit dem Blick in beide Täler. Es war für manche ein kurzer Weg, der nur vom Mittag bis zum Abend reichte, auf beiden Seiten steil und dunkel abstürzend. Aber andere – darunter Jarl – konnten sich an frühere Zeiten erinnern, konnten sich vorstellen, was noch bevorstand.
    »Ich bin alt, Hoheit«, sagte Jasmine langsam und mit Nachdruck.
    »Älter als Ihr, älter als dieser Wald, älter als das vordringende Eis. Ich habe viel gesehen, Schönes und Leidvolles. Viele Jahre Vor dem Eis gab es einen großen

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