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Zeit und Welt genug

Titel: Zeit und Welt genug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Kahn
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sich zurückzurufen. »Sie kommen jetzt immer öfter, nicht? Ich wurde so schläfrig, dass ich die Augen nicht offen halten konnte, dann war alles schwarz. Und dann das Licht. Aber es war diesmal größer. Es war riesengroß und fremdartig, wie ein Magnetstern. Es zog mich so gewaltsam an, dass ich von den Beinen gerissen wurde, als sauge es mich durch die Luft in sich hinein. Aber ich erreichte es nicht ganz. Dann wurde ich wach.« Er hob den Kopf. »Hallo.«
    Beautys Stirn verlor endlich die Furchen.
    »Hallo«, sagte er mit Nachdruck.
    Sie halfen Josh auf die Beine.
    »Kopfschmerzen?« fragte Jasmine.
    »Nur ein lauter Wind in meinem Kopf, eine Art Energie, ich weiß nicht …«
    Sie sahen einander an und seufzten gemeinsam; wieder eine Krise bewältigt. Sie fühlten sich stärker und enger verbunden. Älter.
    Jasmine lächelte.
    »Wir lernen das Überleben miteinander.«
    Sie gingen kurze Zeit nach Westen, jeder mit Gedanken an die vergangene Nacht beschäftigt. In einer flechtenüberwachsenen Lichtung brachte Beauty sie alle mit einem Schrei zum Stehen. Er zeigte nach vom, mit strenger Miene. Die anderen blickten hinüber zum Gebüsch am Rand der Lichtung. Dort lag ein toter Vampir.
    Jedenfalls die Überreste. Fast völlig zerfallen. Nur ein verkrümmtes Skelett, Hautfetzen, verdrehte Kiefer, die klaffend grinsten.
    »Seltsam«, meinte Jasmine nachdenklich.
    »Warum seltsam?« fragte Josh.
    »So, wie das Skelett liegt, hat es einen Kampf gegeben. Nicht vieles außer einem Unglücksfall kann einen Vampir töten. Ihre Haut ist zu zäh. Aber ein Unglücksfall hätte ihn stärker zerfetzt.«
    »Waffen sind keine zu sehen«, meinte Josh. »Möchte wissen, wann das gewesen ist.«
    »Nach der Fäulnis muss es Monate her sein. Die Haut braucht eine Ewigkeit, bis sie zerfällt …«
    Durch einen Laut von Beauty wurden sie erneut aufgeschreckt. Er stand hinter einem Felsblock. Sie traten zu ihm. Am Boden lagen die Gebeine eines toten Menschen. Haut und Fleisch waren vom Urwald verzehrt, aber ein paar Stoff-Fetzen hingen noch um das Skelett.
    »Die Jacke«, sagte Beauty stockend. »Sie gehörte Rose.«
    »Bist du sicher?« fragte Josh, obwohl er an Beautys Worten nicht zweifelte. Er erinnerte sich, die Tunika bei Rose gesehen zu haben, als er das letzte Mal auf der Farm in Monterrey gewesen war. Seine Kehle schnürte sich ihm zu, Dunkelheit breitete sich in seinem Inneren aus. Sollte dies also das Ende sein? Armselige Überreste, auf halbem Weg ins Nichts?
    »Das kann nicht sein.« Jasmine schüttelte den Kopf. »Gestern waren wir nicht länger als einen Tag hinter ihnen. Diese Leiche liegt hier schon mindestens drei Monate, vielleicht länger. Vielleicht hat Rose ihre Jacke um das Skelett gehängt, um uns vor irgend etwas zu warnen.«
    Sie dachten nach.
    »Aber selbst die Jacke sieht so zerfallen aus«, sagte Beauty.
    »Hatte Rose Knochenverletzungen?« fragte Jasmine. »Einschüsse oder …«
    »Vor einem Vierteljahr hatte sie sich den Arm gebrochen«, erwiderte Beauty.
    »Dann schau her. Der Arm ist völlig unberührt. Er war nie gebrochen. Und die Haare hier am Boden sind blond. Hast du nicht gesagt, Rose sei schwarzhaarig? Siehst du? Es ist gar nicht Rose.«
    Beauty war beruhigt, aber immer noch verwirrt. Er hob die Hand, um seinen Bart zu streicheln. Sie blieb in der Luft hängen.
    »Seht euch das an«, sagte er dumpf.
    Sie starrten auf seine Hand. Die Nägel waren fast drei Zentimeter lang.
    »Gestern habe ich mir die Nägel geschnitten, als ich an einer Ranke hängen blieb.«
    Die anderen bestätigten dies. Josh hob die Hände. Seine Fingernägel waren ebenso lang.
    Plötzlich fiel Jasmine etwas ein, das in der Nacht zuvor geschehen war, eine der zahllosen Wahnepisoden. Sie hatte zur Venus hoch am Himmel hinaufgeblickt, dahin, wo sie in einer klaren Frühlingsnacht gehörte; und später, als sie wieder hinaufgeschaut hatte, war Venus verschwunden gewesen, an ihre Stelle Sirius getreten, ein Stern des Spätsommers. Vom Frühling zum Sommer in einer halben Nacht.
    »Es war nicht nur eine Nacht«, flüsterte sie entgeistert.
    »Was?« fragte Josh verwirrt.
    »Gestern Nacht. Das waren Monate. Deshalb sind eure Fingernägel so lang. Und diese Leichen gehörten doch zu der Gruppe, die wir verfolgten. Rose hat ihre Jacke vermutlich diesem toten Menschen gegeben. Was den Vampir angeht, wer weiß …?« Der Urwald.
    »Aber wie …«, sagte Josh fassungslos. Beauty kniff die Augen zusammen. »Dann ist die Fährte seit

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