Zeit zu hassen, Zeit zu lieben
deshalb ein wirklicher Mensch?«
Franziska rückte näher an Lisa heran und streichelte ihr die Hand. »Danke, Mutter«, sagte sie.
Lisa ließ es sich gefallen, aber auf einmal sprang sie auf, strich sich die Schürze glatt und sagte: »Wenn man vom Teufel spricht … Die Kutsche vom Gut ist vorgefahren.«
Es klopfte und ohne auf ein Herein zu warten, stieß die Baronin die Tür auf. Sie sah darüber hinweg, dass ihr Frau Bienmann einen Stuhl anbot. Nach einer kurzen Begrüßung sagte sie herrisch: »Ich bin in einer gewissen Notlage.«
»Das sind die Bienmanns auch«, warf Franziska ein, aber die Baronin ging nicht darauf ein.
»Mein Schwager in Königsberg ist vom Schlag getroffen worden und tot umgefallen. Übermorgen ist die Beerdigung.«
»Schlimm ist das, wenn einer so plötzlich aus dem vollen Leben gerissen wird«, sagte Lisa Bienmann. »Er war doch ein Mann wie ein Baum. Im vorigen Herbst hat er noch den kapitalen Hirsch erlegt. Im Dorfkrug hat man lange darüber gesprochen. Gott sei ihm gnädig.«
»Jaja«, unterbrach die Baronin sie ungeduldig. »Aber nun ist er genauso tot wie der Hirsch.«
»Und was ist mit Ihrer Notlage?«
»Nun ja«, sagte die Baronin, »meine Töchter Hilda und Sieglinde sind wie Spargel gewachsen im letzten Jahr. Kein schwarzes Kleid passt ihnen mehr. Und mit müssen sie nach Königsberg. Auf jeden Fall müssen sie mit.«
»Er war ja ihr Onkel«, nickte Lisa.
»Sicher. Aber die Teilnahme an einer Beerdigung, Frau Bienmann, ist mehr als eine letzte Pflicht für die Mädchen.«
»Ist mehr?«
»Aber sicher! Siebzehn und achtzehn sind die beiden. Wird es nicht Zeit, dass sie gesehen werden? Ins Licht muss ich sie stellen. Und bei der Beerdigung des Werner von Knabich, da wird alles zugegen sein, was einen guten Namen hat in Ostpreußen, und mancher wird hoffentlich auch noch ein bisschen mehr aufzuweisen haben als allein einen guten Namen, verstehen Sie? Die Güter in der ganzen Provinz werfen in diesen schlechten Zeiten nicht viel ab. Eine große Aussteuer kann ich meinen Töchtern nicht mitgeben. Dann ist es besonders gut, wenn sie einen Mann kennenlernen, der etwas mehr an den Füßen hat.«
»Ich verstehe. So tut der Herr von Knabich seinen Nichten einen letzten Dienst.« Lisa lachte in sich hinein.
»Und nun habe ich gehört«, sagte die Baronin und wandte sich an Franziska, »dass Sie eine geschickte Schneiderin im Hause haben. Und gesehen habe ich auch, Lisa Bienmann, was Sie für ein hübsches Kleid tragen am Sonntag in der Kirche. Und da dachte ich mir …«
»Zwei Kleider in zwei Tagen, das könnte ich vielleicht schaffen«, sagte Franziska.
»Wie kommen Sie auf zwei Kleider und zwei Tage? Morgen mit dem Mittagszug werden wir reisen und wenigstens zwei Kleider müssen es sein für jedes Mädchen. Sie können doch nicht immer in denselben Sachen herumlaufen.«
»Das ist unmöglich«, sagte Franziska. »Das schafft keine Schneiderin auf der ganzen Welt.«
»Wer sagt denn, Fräuleinchen, dass Sie alles allein machen sollen? Ich habe geschickte Mägde. Sie nehmen die Zügel in die Hand, entwerfen die Kleider, schneiden sie zu. Stoffe und Zutaten liegen bereit. Wenn es sein muss, stelle ich Ihnen zehn Hilfskräfte zur Verfügung. Schließlich haben wir eine Nähstube im Haus.«
Franziska zauderte noch, aber die Baronin bedrängte sie und schlug vor: »Ich setze mich schon in die Kutsche, Fräuleinchen. Sie packen zusammen, was Sie brauchen, ich warte solange. Gemeinsam fahren wir dann aufs Gut.«
»Ich könnte es ja versuchen.«
»Schön. Bezahlen werde ich Sie, Fräuleinchen, gut bezahlen.«
»Das wäre allerdings das erste Mal«, sagte Frau Bienmann, als die Baronin hinausging, und sie fing sich dafür einen scharfen Blick ein.
»Denke daran, Tochter«, sagte sie, als Franziska mit ihrer großen Tasche aus der Mädchenkammer herunterkam, »geizig ist sie und hart.«
»Ich werde daran denken, Mutter«, versicherte Franziska und stieg zu der Baronin in den offenen Wagen. Ganz bewusst hatte sie ihr bestes Kleid angezogen und den roten Hut aufgesetzt.
»Könnte selber die Baronin sein«, sagte die Grete Lenski.
Eberhard saß auf dem Kutschbock. Er trieb die Pferde hart an. In der langen, schnurgeraden Allee, die auf das Herrenhaus zuführte, ließ er sie sogar in einen leichten Galopp fallen.
»Recht so«, lobte ihn die Baronin und lachte, als sie sah, dass Franziska sich an der Seitenlehne festklammerte.
In der Nähstube lag alles bereit: Stoffe, Futter,
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