Zeit zu hassen, Zeit zu lieben
Franziska. Dann packte sie ihre Sachen zusammen, verabschiedete sich von den Frauen und ging hinaus.
Keine Kutsche stand bereit. Sie musste den ganzen Weg ins Dorf zurücklaufen. Aber das fiel ihr merkwürdig leicht, so als ob sie wüsste, dass schon in ganz Liebenberg die Nachrichten herumschwirrten, »die Braut vom Paul Bienmann, die hat’s der Alten vom Gut gegeben«, und »Donnerwetter! Vier Kleider in vierundzwanzig Stunden! Und Kleiderchen, sage ich, Kleiderchen!« Und dabei spitzten die Frauen den Mund und die Männer pfiffen vor sich hin. Von einer Frau nur für sonnige Tage war seitdem kein Wort mehr zu hören.
Paul und Franziska hatten sich entschlossen, die Versteigerung noch abzuwarten und dann erst ins Ruhrgebiet zurückzufahren.
Der Pfarrer war seit dem ersten Gespräch im Pfarrhaus abweisend und kühl. Er setzte den Tag des Übertritts auf Mittwoch, den 26. September fest, an dem die Kirche das Fest der heiligen Ärzte Kosmas und Damian feiert.
Ohne Anteilnahme, so schien es, sprach er mit leiser, eintöniger Stimme die Formeln, stellte die Fragen, registrierte die Antworten und kratzte schließlich mit spitzer Feder seine Unterschrift unter die Dokumente.
Er hatte ursprünglich vorgeschlagen, vor der versammelten Gemeinde den Ritus zu vollziehen, war aber sowohl bei Paul als auch bei Franziska selber auf entschiedenen Widerstand gestoßen. So schrumpfte die Gemeinde auf die alten Bienmanns und Paul zusammen.
»Ich springe zu Paul auf eine Eisscholle«, hatte Franziska zu Lukas gesagt, »aber ich will nicht, dass viele mein Zittern sehen.«
Der Pfarrer hatte es abgelehnt, nach der Zeremonie zu einer Tasse Kaffee ins Bienmannhaus zu kommen.
Genau an diesem Tag kam Georg gegen Abend und gab die Nachricht weiter, dass der Reichskanzler Gustav Stresemann das Ende des passiven Widerstandes für das ganze von den Franzosen und Belgiern besetzte Gebiet angeordnet habe.
»Sobald die Versteigerung vorüber ist, muss ich sofort nach Hause«, sagte Paul. »Es wird wieder gearbeitet. Wenn ich nicht in der Werft bin, dann ist Willi Rath schnell bei der Hand damit, einen neuen Mann einzustellen.«
Die Tage wurden ihnen lang. Paul zeigte Franziska die Grenze zwischen Deutschland und Polen: einen schmalen Spatenstich quer durch den Wald.
Er ruderte sie weit über den See, nannte die Namen der Wasservögel, sprang im Kahn auf, als er einen Eisvogel dicht unter den Uferbüschen vorbeischwirren sah.
Franziska wunderte sich, wie anders Paul in der ihm vertrauten Umgebung war. Sicherer, lebhafter.
Sie besuchten Johannes in Leschinen, bewunderten seinen Hof und den neuen Stall und hörten zu, wenn er von seinen Plänen sprach.
Ein Steinhaus wolle er errichten, sobald er genug gespart habe. Zwei Wiesen sollen umgepflügt und in Äcker verwandelt werden. Ein Stück Wald müsse gerodet werden.
»Er wird es schaffen«, sagte Franziska.
Dann war es so weit. Es war ein ruhiger Spätherbsttag. Kein Lüftchen ging und bald hatte die Sonne den Morgennebel durchstoßen.
Die Nachbarn kamen als Erste. Als der Auktionator, den die Bank bestimmt hatte, gegen zehn eintraf, da hatte sich das ganze Dorf vor Bienmanns Haus versammelt und Pferdewagen aus der Umgebung waren gekommen und standen am Straßenrand bis fast zur Schule hin.
Der Auktionator schlug vor, man solle bei dem schönen Wetter auf die Straße tragen, was versteigert werden müsse.
»Tragen Sie alles ins Licht. Was mir geblieben ist, das hat mein Sohn Johannes auf sein Gespann geladen«, willigte Lukas Bienmann ein. Viel war es nicht, was die Bank ihm gelassen hatte: das Bettzeug, ein wenig Wäsche, die Kleider, das ältere Küchengeschirr.
Bald waren die Männer gefunden, die alles, was sich bewegen ließ, aus den Stuben auf die Straße schleppten: die Schränke, die Truhen, die Standuhr, Tische, Stühle, Bänke, Geschirr und Gläser, Töpfe, Porzellan, vor allem ein ganzes Arsenal von Werkzeugen. Dreiundsechzig Beile und Äxte, große und kleine Sägen, Hämmer, Schnüre, Wasserwaagen, Hobel, alles eben, was ein Zimmergeschäft in vielen Jahrzehnten aufgehäuft hat. Der Kleinkram wurde in ganzen Posten verkauft.
Lisa und Lukas hockten auf dem Wagen von Johannes und betrachteten starr das Treiben und Feilschen. Stunde um Stunde.
Es war schon weit über Mittag, als die Möbel an die Reihe kamen.
»Und nun diese alte schöne Standuhr hier!«, schrie der Auktionator. »Wer macht ein Gebot?«
Franziska war die Erste, die eine Milliarde bot. Der
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