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Zeit zu hassen, Zeit zu lieben

Zeit zu hassen, Zeit zu lieben

Titel: Zeit zu hassen, Zeit zu lieben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Faehrmann
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einrenken«, tröstete Resi sie, bevor sie mit Karl nach Hause ging.
    Aber Frau Reitzak hatte in den folgenden Wochen Gründe genug, oft ratlos den Kopf zu schütteln.
    Paul stand meist erst kurz vor Mittag auf, bemühte sich immer seltener um Arbeit und lungerte stundenlang untätig herum. Wenn irgendjemand das Gespräch darauf brachte, dann antwortete Paul: »Ist eben die Deflation. Kein Geld im Land. Es gibt von Tag zu Tag mehr Arbeitslose. Ich bin einer von vielen. So ist das nun mal.«
    In Franziskas Gesicht grub sich von den Mundwinkeln abwärts eine erste Falte in die Haut.
    Ihr Geburtstag kam, aber von Heirat war nicht mehr die Rede.
    Bruno sprach Kaplan Klauskötter an. »Der Paul ist so komisch geworden«, sagte er. »Er ist empfindlich und geht bei jedem schiefen Wort gleich in die Luft. Neulich hab ich ihn gefragt, ob wir nicht mal wieder den Rheindamm hinauflaufen sollten. Könnten nach Fischen bei dem Fischer mit der Tütebell fragen oder nachschauen, ob Jakob mit seiner Annette II festgemacht hat. Da hat er gesagt: ›So ist’s richtig, Padre. Früher hingst du an meiner Schleppe und jetzt bin ich für dich ein Klotz am Bein.‹ «
    »Was meint er damit?« fragte Klauskötter.
    »Das habe ich ihn auch gefragt«, sagte Bruno.
    »Und was hat er geantwortet?«
    »›Du hättest dich schon längst für die Schule entschieden‹, hat er gesagt, ›aber du denkst, du wärst mir was schuldig und könntest mich nicht allein lassen.‹«
    »Und was ist deine Ansicht, Bruno?«
    »Ist was dran«, gestand der Junge.
    »Ich halte das für falsch, Bruno. Paul darf sich nicht bemitleidet fühlen. Das nimmt ihm den Rest von Zutrauen zu sich selbst.«
    Bruno biss die Zähne fest zusammen und sagte nach einer langen Pause: »Also dann, Herr Kaplan, ich will zur Schule.«
    Klauskötter ließ sich seine Freude nicht anmerken. Er sagte spröde: »Wird eine harte Zeit für dich, Padre. Aber ich denke, bei euch in Ostpreußen, da wächst ein zähes Holz. In drei Monaten ist Ostern. Dann fängt ein neuer Kurs an.«
    Am selben Abend noch erzählte Bruno dem Paul und den Reitzaks, was er vorhatte. Sie fanden seinen Entschluss gut und Frau Reitzak spottete gutmütig: »So bringen die Katholiken ihre Schäfchen in die Hürden.«
    »Vorsicht, Mutter«, warnte Franziska. »Der Leo glaubt an keinen Gott und keinen Teufel und zählt nicht und dann sitzen um unseren Tisch gleich viele von jeder Konfession.«
    Aber Frau Reitzak fand das gar nicht spaßig und ihr Mund presste sich zusammen.
    Schnell wechselte Franziska das Thema und sagte: »Stellt euch vor: Frau Baron bekommt nächste Woche Besuch von ihren besten Freundinnen aus Düsseldorf. Sie haben mich um fünf Uhr zu sich bestellt. Ich soll für sie Karnevalskostüme entwerfen. Und wenn ihnen gefällt, was ich vorschlage, dann heimse ich einen dicken Auftrag ein.«
    Franziska war schon fast eingeschlafen, als ihre Mutter, eine Jacke über das Nachthemd gestreift, zu ihr in die Kammer kam.
    »Hat Vater wieder getrunken?«, fragte Franziska und rückte in ihrem Bett ein wenig zur Seite.
    »Nein, nein, Tochter. Diesmal fliehe ich nicht zu dir, sondern ich komme und will dir einen Rat geben.«
    Sie tuschelte ihrer Tochter wohl länger als fünf Minuten etwas ins Ohr. Als sie endlich verstummte, sagte Franziska: »Warum, Mutter, bin ich nicht schon früher darauf gekommen?«
    »Liebe macht blind«, antwortete Frau Reitzak und sie küsste ihre Tochter. Das hatte sie nicht mehr getan, seit Franziska vor Jahren nach Holland gegangen war.

38
    »Was hältst du davon, Padre?«, fragte Steiner. Sein Blick ruhte stolz auf den Möbeln. Er hatte bis in die Nacht hinein gearbeitet und nicht nur den kleinen Schreibtisch mit den drei Schubladen an jeder Seite, sondern auch den Schrank und den niedrigen sechseckigen Tisch zusammengeleimt.
    »Klare Linien«, antwortete Bruno. »Gefällt mir sehr gut. Wer hat den Entwurf eigentlich gemacht?«
    »Na der, der die Möbel bestellt hat. Er wohnt bei den Barons. Deisius heißt er. Ist ein entfernter Verwandter von den Barons.«
    Bruno versuchte, den Hobel ruhig zu führen, aber er rutschte ab und verdarb die Brettkante, die er gerade bearbeitete. Er hatte gehofft, dass er den Oberst endgültig aus seinen Gedanken weggedrängt hatte, und wieder tauchte der Name Deisius ganz unvermutet auf und jagte ihm den Pulsschlag hoch.
    Steiner fuhr mit den Fingerspitzen ganz sacht über die Oberfläche des Schreibtisches. »Das haben wir gut geschafft. Die Ina wird

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