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Zeit zu hassen, Zeit zu lieben

Zeit zu hassen, Zeit zu lieben

Titel: Zeit zu hassen, Zeit zu lieben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Faehrmann
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sich herumschleppen, wenn Sie die Kranken besuchen.‹
    ›Da steht sie doch, Tölpel. Wo sie immer steht‹, antwortet der Arzt und zeigt in die Flurecke. ›Aber ich sage dir, Warczak, hat sie sich angesteckt, dann ist sie hin, ob ich nun komme oder nicht. Wenn nicht, dann bin ich sowieso überflüssig.‹
    Schon will er dem Warczak die Tür vor der Nase zuschlagen und zurück ins warme Bett, da stößt der zu, die Tür knallt gegen die Wand. Er packt die Tasche, hebt den Arzt vom Boden auf und schwingt sich mit dem Doktor und der Tasche auf den Gaul und hetzt das Tier, dass der Schaum nur so flockt. Und während des Ritts, da singt der Warczak und schreit zu den Heiligen: ›Ora pro nobis‹, brüllt er, ›bitte für uns‹, und den ganzen Weg hört er nicht auf und vergisst keinen Märtyrer, keinen Bekenner, keine heiligen Frauen, keine Kirchenlehrer. Kein Wort sagt der Arzt, steigt steif vom Pferd, tritt in das Haus, reinigt die Wunde mit starkem Seifenwasser, verbindet sie, und bevor er die Kutsche besteigt, die ihn in die Stadt zurückbringen soll und die der Bauer Kaldaun ihm bereitwillig gestellt hat, trinkt er einen großen Schnaps, den der Warczak ihm einschenkt, und lässt nachgießen und trinkt wieder. ›Warczak‹, sagt er, ›wirst für deine Frau jetzt eher den Pfarrer brauchen als den Arzt. Nach drei bis vier Wochen wird’s sich zeigen. Bring sie ins Hospital, wenn die Krämpfe beginnen.‹ Und als er den Warczak mit hängendem Kopf stehen sieht, da sagt er: ›Wie viele, Warczak, sind in den letzten Jahren gestorben und sterben immer noch, weil sie ausgezogen sind, Menschen zu töten. Deine Frau hat ein Menschenleben gerettet, ein junges Leben, Warczak. Sie werden ihr das Eiserne Kreuz nicht verleihen. Aber vergessen, mein Lieber, vergessen wird das Dorf die Warczak nie. Die Frau, die sich zwischen den tollwütigen Fuchs und ein Kind gestellt hat, werden sie in der ganzen Gegend sagen und alle werden sie ein wenig teilhaben wollen an dem, was am Brunnen in Liebenberg geschah.‹
    Der Arzt steht noch bei dem Warczak. Der schaut ihm jetzt ins Gesicht und sagt: ›Danke‹, und nach einem Augenblick fährt er fort: ›Und nichts für ungut, Doktor, dass ich Sie … na ja, dass ich Ihnen geholfen hab hierherzukommen.‹
    ›Lass gut sein, Warczak‹, sagt der Arzt. ›Aber schenk mir die halbe Flasche Schnaps. Hat mindestens sechzig Prozent, dein Fusel.‹
    ›Sie werden die Engel singen hören, Doktor, wenn Sie die Flasche leer saufen‹, warnt Warczak und reicht die Flasche dem Arzt hinüber.
    ›Ich werde keinen Tropfen mehr von dem Zeug trinken, Mann. Den Hintern hast du mir wund geritten. Es gibt nichts Besseres als Schnaps auf die aufgeriebene Haut. Merk dir’s!‹
    Deine Oma, Siegfried, die hat gewusst, dass sie den Tod nicht mehr aus der Kammer treiben kann. Ich habe erzählen hören, dass sie einen harten Tod gestorben ist. Wie es genau war, Siegfried, das weiß ich nicht, weil sie uns ferngehalten haben von ihr, schon lange, ehe das Fieber und die Krämpfe über sie kamen.«
    »Nicht gelogen?«, fragte Siegfried, als Bruno verstummte.
    »Genauso war es, Siegfried. Ganz genau so! Du hast eine Großmutter gehabt, auf die du stolz sein kannst.«
    Siegfried drehte sich um. Bruno wusste nicht, ob er schlief, aber er hörte kurz darauf Hubert in der Küche hantieren. Der Junge schlüpfte leise aus dem Bett, zog sich an, nahm die Schuhe in die Hand und wartete, bis die Tür hinter Hubert ins Schloss gefallen war.
    Vorsichtig schlich er die steile Treppe hinab und schlüpfte durch die Stalltür ins Freie.
    Paul wartete bereits auf der Straße. »Beeil dich«, sagte er.
    Bruno schnürte hastig die Schuhe zu. Paul nahm ihn bei der Hand und führte ihn quer durch die Siedlung bis in die Nähe des Zechentors. Das war hell angestrahlt. Beinahe wie auf einer Bühne konnten die beiden sehen, was dort vor sich ging.
    Das Zechentor war von etwa achtzig Männern belagert. Hubert stand am Ende der Straße und schien zu warten. Zwei weitere Bergleute gesellten sich zu ihm und schüttelten ihm die Hand. Dann schritten die drei auf die Menge zu.
    Zuerst öffnete sich eine schmale Gasse, dann tönte es mehrmals dumpf im Chor:
    »Warczak, Müller, Vandepont
brechen unsre Einheitsfront!«
    Die drei Männer drängten sich auf das Zechentor zu. Plötzlich schrien einige laut: »Macht sie fertig, die Streikbrecher! Poliert ihnen die Fresse!«
    »Ihr streikt euch noch den Noske herbei, den Noske mit seinen

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