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Zeit zu hassen, Zeit zu lieben

Zeit zu hassen, Zeit zu lieben

Titel: Zeit zu hassen, Zeit zu lieben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Faehrmann
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Freischaren!«, rief Hubert der Menge zu.
    Da sahen Paul und Bruno, wie ein paar junge Burschen sich bückten und von den klein geschotterten Steinchen Hände voll aufhoben und nach den drei Männern warfen. Einer schützte mit seiner Ledertasche den Kopf. Sie erreichten das Tor und verschwanden schließlich im Zechengelände. Die Menge begann, sich zu zerstreuen.
    »Jetzt weißt du, warum ich nicht auf dem Pütt anfange, Bruno«, sagte Paul.
    »Warum macht Hubert das?«, fragte Bruno.
    »Er hält es für richtig, deshalb macht er das.«
    »Und du?«
    »Ich glaube, er sollte sich lieber in dieser Sache nicht gegen alle stellen. Ich habe mich schon mit Oberschott und Hubert angelegt. Ich weiß nur, wenn das so weitergeht, dann haben die Warczaks hier ein schweres Leben. Eigentlich sollte ja jeder seine Meinung und seine Überzeugung frei und ohne Angst vertreten können. Ich meine, es gibt viele Sorten von Terror.« Eine Weile schwieg Paul, dann sagte er wie zu sich selbst: »Aber können Arbeiter je etwas erreichen, wenn sie nicht alle gemeinsam handeln?«
    »Was meinte Hubert mit Noske und den Freischärlern?«
    »Er denkt, es könnte hier wie in Berlin gehen. Im Westfälischen liegen die Truppen einsatzbereit. Es würde ein Blutbad geben, denn auch hier sind in jedem zweiten Haus Waffen versteckt.«
    »Bürgerkrieg«, sagte Bruno. »Auf den Straßen und Plätzen liegen die Toten. Wie mein Bruder. Ich glaube, ich verstehe Hubert jetzt besser.«
    »Na, dann verstehst du mehr als ich«, brummte Paul, schlug dem Bruno auf den Rücken und rief: »Aber jetzt ab ins Bett! Und sag nie mehr, der Hubert ist ein Feigling!«

10
    Der Streik dauerte bereits die dritte Woche. Hubert konnte nur noch auf Schleichwegen zur Zeche gelangen. Paul hatte im Garten gegraben, gepflanzt und gesät und die Beerensträucher an die Pfähle gebunden, aber irgendwann war alle Arbeit getan, selbst die Beete für die Bohnen, die erst nach den Eisheiligen gelegt werden sollten, waren vorbereitet.
    »Ich muss was zu tun haben, sonst werd ich verrückt«, sagte Paul und lief unruhig durch Haus und Straßen.
    »Wie wär’s mit Hausfriseur?«, fragte Hildegard ihn eines Tages.
    »Hausfriseur?«
    »Ja, der alte Edmund Hütter ist seit Jahren krank. Zum Haareschneiden hat’s immer noch gereicht, aber seit letztem Winter ist es mit seiner Staublunge ganz schlimm geworden. Er hat dem Berti sein Friseurwerkzeug zum Kauf angeboten, aber Berti will nicht.«
    »Hm«, sagte Paul. Je länger er über den Vorschlag nachdachte, umso mehr Gefallen fand er daran.
    Hildegard redete ihm zu. »Du schaffst das schon. Hast geschickte Hände. Ich hab’s schon gemerkt, als du die Salatpflanzen gesteckt hast.«
    »Hm«, sagte Paul wieder.
    »Kannst dir ja vom alten Hütter alles erklären lassen. Rasieren ist für dich sowieso keine Kunst. Fuhrwerkst ja jeden Morgen wie der Teufel mit dem Messer am eigenen Hals herum.«
    Paul brummte vor sich hin. Tatsächlich schnitt er sich niemals.
    »Hast eine ruhige Hand, Paul. Das Schneiden mit der Maschine kannst du bei Bruno üben und«, sie zögerte einen Augenblick und fuhr dann fort, »und damit du siehst, dass ich es dir wirklich zutraue, kannst du’s auch bei Siegfried versuchen.«
    »Wenn du den Hubert auch so anstachelst wie jetzt mich«, antwortete Paul, »dann wird er sogar Obersteiger.«
    Paul kaufte für fünfzehn Mark dem alten Hütter das Werkzeug ab, zwei Haarschneidemaschinen, eine grob und eine fein, mit der Hand zu bedienen, eine Zackenschere zum Ausdünnen, zwei sehr spitze blanke Scheren und fünf Kämme.
    »Wozu fünf Kämme«, fragte Paul verblüfft.
    »Einer ist der Lausekamm. Dieser hier.« Hütter nahm einen sehr eng gezahnten Aluminiumkamm in die Hand, unterdrückte einen Hustenanfall und musste eine lange Pause machen, bevor er kurzatmig fortfuhr: »Die andern sind für das Renommee. Wenn du auf einem weißen Tuch fünf Kämme ausbreitest, dann sagen alle: Das ist ein guter Hausfriseur.«
    Paul bat den alten Hütter um ein paar Tipps, doch seine Frau fuhr dazwischen und schimpfte: »Sehen Sie denn nicht, dass er heute wieder japst und kaum Luft kriegt? Kommen Sie wieder, wenn das Wetter beständiger ist, dann geht es meist etwas besser.«
    Der alte Hütter hob einen Bierdeckel von einer großen Emaillekanne und spuckte hinein. »Ist tatsächlich besser«, keuchte er. »Ich hab heute ’nen Zementsack auf der Brust liegen. Komm morgen wieder.«
    Nachdem sich Paul aber einmal zum Kauf des Werkzeugs

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