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Zeit zu hassen, Zeit zu lieben

Zeit zu hassen, Zeit zu lieben

Titel: Zeit zu hassen, Zeit zu lieben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Faehrmann
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Fenster!«
    »Ziehst du denn nicht mit?«, fragte Bruno.
    »Doch«, sagte Hubert. »Aber die Christlichen treffen sich in der Stadt vor dem Kolpinghaus zu einer Kundgebung. Ich gehe gleich mit Jupp Brüggemann und noch ein paar Kollegen los. Kannst ja mitkommen, wenn du willst.«
    »Nee«, lehnte Paul ab. »Ich habe es den Jungen bei der Kursanka versprochen. Ich gehe mit denen.« Bruno schloss sich ihm an.
    Es versammelten sich viele Arbeiter auf dem Platz. Sie marschierten in Richtung Zechentor. Ehe Paul sich’s versah, hatte ihm einer die Haltestange des Transparents in die Hand gedrückt. Die andere Stange wurde von einem älteren Kumpel getragen, dem Paul schon einmal mit Erfolg die Haare geschnitten hatte. Der rief ihm zu: »Habe ich selbst gemacht!« Und er zeigte auf das rote Tuch, auf dem in großen weißen Buchstaben der Satz leuchtete: Proletarier aller Länder, vereinigt euch!
    Nun, dachte Paul, dagegen kann niemand etwas haben, und zog fröhlich mit. Eine Schalmeienkapelle spielte auf. Sie sangen: »Der Rosa Luxemburg, der haben wir’s geschworen …« Vor dem Zechentor redete ein Mann lange. Weil kein Lautsprecher da war, konnte Paul nichts verstehen. Bruno zählte laut: »Achtzehn, neunzehn, zwanzig …«
    »Was soll das?«, fragte Paul.
    »Zwanzigmal hat er schon seine Faust hochgereckt«, sagte Bruno.
    Der Redner fand kein Ende.
    »Komm, wir gehen nach Hause«, sagte Paul. Ein anderer übernahm die Stange des Transparents.
    Hubert kam erst am späten Nachmittag zurück. »Es wurde eine Botschaft vom Zentrumsvorsitzenden Erzberger verlesen. Klang sehr vernünftig, was er sagte. Wir müssen mit den Franzosen verhandeln. Einen gerechten Friedensvertrag soll es geben«, berichtete Hubert.
    »Sie werden uns das Fell über die Ohren ziehen«, sagte Paul.
    »Hört auf mit der ewigen Politik«, forderte Hildegard energisch. »Seid froh, dass der Streik zu Ende ist und dass es hier nicht so zugeht wie in Bayern. In München tobt der Bürgerkrieg. Gott sei Dank, dass es hier ohne Blutvergießen abgegangen ist.«
    Am nächsten Morgen las Paul aus der Zeitung vor, dass die Münchener Räterepublik kurz vor dem Ende sei. Über tausend Tote habe es schon gegeben. »Stellt euch vor, in Berlin haben sich mehr als hunderttausend Arbeiter auf dem Königsplatz vor dem Reichstag versammelt. Reichskanzler Scheidemann hat gesprochen. Demokratie und der Achtstundentag, das dürfe nicht aufs Spiel gesetzt werden.«
    »Recht hat er«, stimmte Hubert zu. Dann nahm er die Zeitung und sagte: »Dass er auch gegen die Streiks geredet hat, das hast du uns unterschlagen.«
    Pünktlich um zehn Uhr war Paul wieder im Personalbüro. Der dicke Mann im grauen Kittel sah ihn kaum an und ließ ihn lange warten. Dann räkelte er sich hoch und kam kurz zu Paul herüber. Er schob die Papiere, die Paul auf die Theke gelegt hatte, zurück und sagte leise: »Bei uns nicht, mein Lieber. Vor dem 1. Mai hätten Sie noch bei uns anfangen können. Aber wir haben genug Politische hier. Schleppen Sie nur weiter Ihre roten Sprüche durch die Stadt. Bei uns nicht.« Er setzte sich wieder an seinen Schreibtisch.
    Oberschott!, schoss es Paul durch den Kopf. Dieser Oberschott hat mich gesehen und auf die schwarze Liste setzen lassen. Wer sich nicht duckt, den mag er nicht.
    Als Paul Hubert von seinem gescheiterten Versuch berichtete, sagte der: »Ich hab dich gewarnt, aber du hast ja nicht auf mich hören wollen.«
    Paul war niedergeschlagen, hockte lustlos in Hildegards Küche herum und musste sich von ihr sagen lassen, dass Oberschott Berti mit größerem Misstrauen begegnete, weil Paul immer noch in ihrem Haus herumlungerte.
    Zwei Tage später saßen Bruno und Paul auf der Bank, die unter einem Fliederstrauch hinten im Garten stand.
    »Bruno«, sagte Paul und legte dem Jungen den Arm über die Schulter, »ich gehe weg. Ich habe Post von Karl Schneider bekommen. Hier ist für mich kein Blumentopf mehr zu gewinnen.«
    »Muss wohl sein«, sagte Bruno bedrückt. »Hat Karl für dich eine Arbeitsstelle gefunden?«
    »Nein«, antwortete Paul. »Es sieht im Augenblick auf der Werft mit der Arbeit schlecht aus. Aber er will noch einmal mit Willi Rath reden. Ich werd schon was finden.«
    »Kannst du bei Karl unterkommen?«
    »Das geht auch nicht, Bruno. Er wohnt mit zwei anderen Männern in einem Zimmer. Aber hab keine Angst, ich verschwinde nicht vom Erdboden. Ich habe ja die Adresse, die Zirbel mir gegeben hat. Du kannst sie dir abschreiben. Für alle

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