Zeit zu hassen, Zeit zu lieben
verdreckten Bruno Kurpek in einen ganz ansehnlichen Jungen verwandelt.
Sie schaute Franziska an, zwinkerte ihr zu und sagte: »Nähen Sie mir ein Kleid? Ich hätt eins nötig. Ein schwarzes mit weißem Kragen.«
»Hat es sich schon bis in die Kaplanei herumgesprochen, dass Franziska Schneiderin ist?«, wunderte sich Paul.
»Solche Nachrichten gehen unter Frauen wie die Eilpost rund«, lachte Kaplan Klauskötter.
»So ist es«, bestätigte Fräulein Gundula. Sie wandte sich an Bruno und lud ihn ein: »Kannst uns, wenn du Lust hast, gelegentlich besuchen.« Offenbar mochte sie den Jungen gut leiden.
So schnell ist sie sonst nicht zu erobern, dachte Kaplan Klauskötter. Er konnte nicht ahnen, dass Fräulein Gundula neugierig in Brunos Brustbeutel herumgeschnüffelt hatte, als der Junge in der Wanne saß. Frau Podolskis Rosenkranz wirkte manchmal Wunder.
»Siehst gut aus, Bruno. Bist mächtig gewachsen«, sagte Paul.
»Dünn wie eine Dachlatte ist er. Er schaut ganz hohl aus den Augen, dein Robinson.«
Bruno wurde rot.
»Die Franziska hat’s betrieben, dass du herkommen konntest«, erklärte Paul. »Ich musste ihr alles erzählen.«
»Danke«, sagte Bruno.
Nein, die Post von Paul habe er nicht erhalten. Nein, Papa Haller gehe es nicht gut. Er habe am Tage nach Neujahr in der ungeheizten Schule gearbeitet. Dort sei er wohl zusammengebrochen. Stunden später erst habe ihn die Hausmeistersfrau gefunden. Jetzt liege er im Krankenhaus. Es heißt, er würde wohl nie wieder zur Schule gehen können. Ja, das habe ihm den Rest gegeben. Er habe dem Hubert eine Notiz auf den Küchentisch gelegt und sei ganz einfach zum Bahnhof gelaufen. Kein einziger Zug sei gefahren. Zurück zu den Warczaks habe er nicht mehr gehen können. Deshalb sei er immer am Kanal entlanggegangen. Die Richtung auf den Rhein zu habe er eingeschlagen.
»In Erdkunde war er schon immer gut«, sagte Paul.
16
Die Arbeit auf dem Pütt fiel Paul von Tag zu Tag schwerer. Seit Wochen mussten sie in einem Querschlag arbeiten, der ein ziemlich starkes Gefälle hatte. Dabei war das Kohlenflöz nur fünfundsiebzig Zentimeter mächtig. Stunde um Stunde auf den Knien zu liegen und Kohle zu machen, sich keinmal recken und aufrichten zu können, das machte Paul völlig fertig. Die Kollegen murrten: »Du versaust uns das ganze Gedinge«, und: »Wir können mit dir nicht das Schwarze unter dem Fingernagel verdienen. Hau mal ’nen Schlag rein. Menschenfett muss an die Kohle!«
Paul hatte immer noch eine gewisse Hoffnung, dass der Maschinensteiger ihn in den Lokschuppen holen würde. Aber Kwiatkowski war von Tag zu Tag unfreundlicher geworden, obwohl Paul ihn jedes Mal laut und deutlich mit »Glück auf!« grüßte.
Paul fasste sich ein Herz, ging zu Karl in den Garten und sagte: »Ich würde gern mit Willi Rath und dir auf der Werft arbeiten. Ich habe nicht Schlosser gelernt, um Kohlen auszubuddeln.«
»Gut, ich kann versuchen, mit Willi zu reden. Aber stell dir die Arbeit nicht zu ideal vor. Willi ist in der Werft ein anderer Mensch. Er ist Meister dort, weißt du. Ihm schieben die Besitzer, die Wischerhoffs, die Verantwortung zu, wenn irgendetwas schiefläuft. Aber Willi ist ein tüchtiger Fachmann, morgens der Erste im Betrieb und abends der Letzte.«
»Und wo liegt der Haken?«
»Er hat den Feldwebel aus dem Krieg mit in die Werft gebracht. Er sagt jedem, wo es langgeht, und wehe, er muss es einem mehrmals sagen. Der ist bald unten durch bei ihm.«
»Du meinst, der Willi Rath schikaniert seine Leute?«
»Schikanieren, das ist nicht das richtige Wort. Aber, weißt du, für ihn ist ein Arbeiter so eine Art Instrument. Solange einer funktioniert, ist Willi der beste Meister, sorgt dafür, dass bei der Lohnabrechnung nicht geschummelt wird, dass die Pausen pünktlich eingehalten werden, dass der Akkord so gerade noch anständig ist. Aber dass die Leute auch Menschen sind, dass sie manchmal den Buckel voller Sorgen haben, weil die Frau krank ist oder die Kinder von der Spur abkommen, davon will der Willi nichts wissen.«
»Ich habe keine Frau und hab keine Kinder«, versuchte Paul einen Scherz, »ich werde keine Schwierigkeiten bekommen.«
»Hoffen wir’s.« Karl zog sein Taschentuch heraus und machte sich einen Knoten hinein. »Damit ich es nicht vergesse«.
Paul hatte gleich zu Beginn der Schicht mit Schalbrettern eine Rutsche gebaut. Darüber konnte die herausgebrochene Kohle bis in den Hund poltern.
Aber er war nicht ganz bei der Sache gewesen und
Weitere Kostenlose Bücher