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Zeit zu hassen, Zeit zu lieben

Zeit zu hassen, Zeit zu lieben

Titel: Zeit zu hassen, Zeit zu lieben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Faehrmann
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ade!
    »Einverstanden, und kein weiteres Theater?«
    Paul nickte.
    Der ältere Gewerkschaftler meldete sich durchs Telefon im Personalbüro an. Eine Stunde später war Paul entlassen. »Zu unserem Bedauern … Aus Mangel an Arbeit … Zur vollsten Zufriedenheit … Alles Gute für die Zukunft … Glück auf!«
    Paul und Bruno wollten sich das Hochwasser anschauen. Der Rhein hatte Ende Januar den höchsten Pegelstand seit Jahren erreicht.
    Bruno hatte seine Mütze über die Ohren gezogen. Die Wolken hingen tief; ein scharfer Südwestwind trieb kurze Schauer vor sich her. Ein Gemisch aus Schnee und Regen schlug ihnen ins Gesicht.
    »Wie geht’s in der Schule?«, fragte Paul und ohne eine Antwort abzuwarten, fuhr er fort: »Ich sehe dich selten. In den letzten Tagen habe ich dich nur beim Essen gesehen.«
    »Ich bin oft bei den Pferden.«
    »Bei den Pferden?«, fragte Paul verblüfft. »Was für Pferde meinst du? Etwa die zweibeinigen mit den beiden Zopfschwänzen?«
    »Quatsch! Wenn du hinten aus unserem Haus und durch den Garten gehst, dann kommst du zum Pferdestall der Brauerei. Sag bloß, das hast du nicht gewusst!«
    »Doch, jetzt fällt’s mir erst richtig auf. Die lang gestreckte Hinterfront der Gebäude, die kleinen Fenster und morgens in aller Frühe die Wagenräder, die über das Pflaster scheppern. Aber noch einmal, Bruno, wie geht’s denn in der Schule?«
    »Es geht so. Ich bin, wie es sich gehört, in die Entlassklasse gekommen, in ein paar Wochen ist es sowieso mit der Schule aus.«
    »Und der Lehrer?«
    »Der heißt Bubi Möller. Er macht sich gar nicht mehr die Mühe, mir auf den Zahn zu fühlen. Ich habe ganz hinten eine Bank für mich allein. Viel Deckung, weißt du? Vierundsechzig Jungen sitzen vor mir. Da falle ich nicht weiter auf.«
    »Karl sagt, die Klassen dürfen nicht stärker als vierzig Schüler sein.«
    »Sagt Bubi Möller auch. Aber es ist ein Lehrer krank geworden. Da haben sie ganz einfach die Klassen zusammengelegt.«
    »Wie wird dein Zeugnis ausfallen?«
    »Gut, denke ich. Ich habe einen Brief an Papa Haller geschrieben. Er soll die Unterlagen an die neue Schule schicken.«
    »Und nach der Schulzeit? Was hast du dann vor?«
    Bruno zuckte die Achseln. Sollte er Paul sagen, dass er davon träumte, weiter zur Schule zu gehen, vielleicht später zu studieren? Aber das war wohl nicht möglich. Die höhere Schule war eine kostspielige Angelegenheit. Schulgeld, Geld für Bücher, Hefte, Zeichengeräte – und über Jahre hin würde er keinen Pfennig verdienen. Wie sollte er das schaffen? Paul hatte genug eigene Sorgen. Seit einer Woche wartete er schon auf eine Antwort von Willi Rath, aber der machte Ausflüchte, redete von wenig Arbeit in diesem Winter und von schlechter Wirtschaftslage. Nein, dem Paul konnte er nicht auch noch seine Träume aufladen.
    »Zum Pferdestall kommt jeden Mittwoch der Metzger Lohmüller. Er holt dort Stangeneis für seinen Kühlraum. Der hat gesehen, wie ich mit den Tieren umgehe. Der würde mich vielleicht als Lehrjungen einstellen.«
    »Hm«, sagte Paul und schaute Bruno ungläubig an. »Metzger? Ist vielleicht gar nicht schlecht in dieser verdammten Hungerzeit. Hast immer ein Stück Fleisch im Topf und kannst Fett und Wurst gegen andere Nahrungsmittel eintauschen.«
    »Ja«, sagte Bruno. »Dienstags wird geschlachtet und zwei Tage in der Woche fährt er mit seinem Einspänner los auf den Wochenmarkt.«
    »Hat er denn überhaupt was zu verkaufen?«
    »Na ja, er hat bei seinem Meister gelernt, wie Wasser steif gemacht werden kann«, lachte Bruno. »Fleischwurst nennt er’s.«
    »Und warum fährt er trotzdem zum Markt?«
    »Die Stellung will er halten. Wenn erst die Zeiten wieder besser sind, dann hat er einen festen Platz auf dem Markt sicher.«
    »Tja«, schwärmte Paul, »so einen richtigen großen Schweinebraten auf dem Herd und so viel essen können, wie du magst.«
    Sie begannen, die lukullischsten Festmähler auszumalen, und hörten nicht auf, bis sie an der Zeche vorbeikamen.
    Paul drohte mit der Faust zur Zeche hin. »Banditen!«, schimpfte er.
    Die Straßen waren bei diesem Sauwetter menschenleer. Hinter der Siedlung lag der Rheindeich. Sie rannten hinauf.
    Gewaltig wälzte sich der Strom heran und prallte kaum zwanzig Zentimeter unterhalb der Deichkrone gegen den Damm. Die Wellenkämme trugen gelbliche, blasige Schaumkronen.
    »Das andere Ufer ist gar nicht zu sehen«, sagte Paul.
    Die Sonne brach für einen Augenblick durch die Wolken. Der Strom

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