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Zeit zu hassen, Zeit zu lieben

Zeit zu hassen, Zeit zu lieben

Titel: Zeit zu hassen, Zeit zu lieben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Faehrmann
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Franziska wollte sich nicht abspeisen lassen und sagte: »Aber doch Abtrünnige. Protestanten eben.«
    »Manche sagen so etwas«, gab der Kaplan zu. »Protestieren ist in unserer Kirche nicht besonders geschätzt. Aber wenn Sie es betrachten, dann haben die Evangelischen und die Katholischen vieles gemeinsam und weniges, was sie trennt.«
    Franziska murmelte: »Die allein selig machende Kirche.«
    Der Kaplan lachte und bat im Scherz: »Erzählen Sie bitte nicht meinem Pastor Kunze, was ich hier sage. Er ist von der alten Garde. Er teilt die Welt in Gute und Böse ein und die Guten sind für ihn vor allem bei den Katholiken zu suchen. Er ist von der alten Schule. Aber ich denke, niemand sitzt auf einem Sack mit der vollen Wahrheit.«
    »Zum Beispiel?«, fragte Franziska spitz.
    »Zum Beispiel finde ich es sehr gut, dass in vielen evangelischen Familien eine Bibel im Hause ist und dass auch daraus gelesen wird.« Er schaute sich in der Küche um.
    »Sie liegt vorne«, sagte Franziska.
    »Was wollen Sie eigentlich von uns?«, fragte Frau Reitzak.
    »Tja«, sagte der Kaplan, »als ich heute Nachmittag eine kranke Frau in der Wandjes-Straße besuchte …«
    »Sie trauen sich in die Wandjes?«, lachte Franziska. »Die Wandjes-Straße, so heißt es, darf man nur mit einem gezückten Messer betreten.«
    »Gib Ruhe, Franziska!«, sagte der alte Reitzak.
    »Ja, man kennt mich dort inzwischen«, antwortete der Kaplan. »Und genau dort stieß ich auf einen jungen Mann. Der sah ziemlich heruntergekommen aus.«
    »Wie alle in der Wandjes«, sagte Ditz.
    »Erstens stimmt’s nicht für alle dort«, widersprach der Kaplan, »und zweitens hat er mit dieser Straße nichts weiter zu tun, als dass er versuchte, durch die Wandjes in diese Richtung zu gehen. Aber Sie wissen ja, das ist nicht ganz einfach. Die Kinder und Jugendlichen aus der Wandjes verteidigen ihr Revier und hatten den Jungen auch ziemlich in die Ecke gedrückt. Zum Glück kam ich dazu und konnte ihn unter meine Fittiche nehmen.«
    »So eine Art Schutzmantelmadonna«, spottete Franziska.
    »Bitte, Franziska, wir sind höflich zu jedem Gast«, mahnte Frau Reitzak.
    »Wenn er denn auch katholisch ist«, fügte Ditz hinzu und summte die Melodie des Liedes »Maria, breit den Mantel aus«.
    »Schluss jetzt mit den Sticheleien«, befahl Frau Reitzak.
    Klauskötter suchte Franziskas Blick und sagte zu ihr: »Sie sind schon wieder auf der richtigen Spur, Franziska.« Der Kaplan war offenbar solche Gespräche gewohnt und weit davon entfernt, Empfindlichkeit hervorzukehren. »Wissen Sie, Marias Mantel ist heute auch der Mantel, den wir Menschen selbst ausbreiten.«
    Franziska holte eine von den guten Tassen aus dem Schrank von vorne und goss dem Kaplan Kaffee ein. »Schalom wünschen sich die Feigels in solchen Fällen«, sagte sie. »Zucker? Milch?«
    Der Kaplan nahm drei Löffel Zucker.
    »Der schöne Zucker«, murmelte Leo.
    Klauskötter trank und sagte dann: »Um es kurz zu machen: Ich habe den Jungen zunächst mal zu mir nach Hause gebracht und meiner Haushälterin in die Hände gegeben. Er hat gegessen, als ob er fünf Tage lang nichts mehr bekommen hätte. Aber das wirft unseren Haushalt nicht um. Tatsächlich war der Junge tagelang zu Fuß unterwegs. Die Eisenbahn fährt ja auch erst wieder ab morgen. Er hat sich nach der Blütentalstraße erkundigt.«
    »Bruno!«, rief Paul laut. »Das hört sich nach Bruno Kurpek an. Trug er eine alte Matrosenmütze?«
    »So ist es«, bestätigte der Kaplan. »Der Junge heißt Bruno Kurpek.«
    »Wo steckt er jetzt?«, fragte Franziska.
    »In der Badewanne vermutlich«, lachte der Kaplan. »Darf ich ihn später herbringen?«
    »Nein«, wehrte Frau Reitzak ab. »Einmal im Jahr einen katholischen Geistlichen im Haus, das genügt uns vollkommen. Es geht jemand mit Ihnen und holt den Jungen ab.«
    »Du bist also einverstanden, Mama?«, fragte Franziska.
    Frau Reitzak antwortete: »Mein Mann will es so.«
    Paul bemerkte, dass an diesem Tag auf dem Kalender an der Wand der Spruch zu lesen war: »Mit seinen Flügeln beschirmt er dich, in die Hut seiner Fittiche birgst du dich.« Aber Paul verschluckte jeden Hinweis darauf.
    Während Frau Reitzak mit Ditz und Leo die hintere Kammer herrichtete, gingen Franziska und Paul mit Kaplan Klauskötter. Die Haushälterin war eine mürrische graue Maus, aber hinter der Stelle, an der bei anderen Frauen sich der Busen befindet, schlug ganz offenbar bei Fräulein Gundula ein weiches Herz. Sie hatte den

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