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Zeit zu hassen, Zeit zu lieben

Zeit zu hassen, Zeit zu lieben

Titel: Zeit zu hassen, Zeit zu lieben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Faehrmann
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glänzte auf wie flüssiges Messing.
    »Da drüben muss Frankreich irgendwo liegen«, sagte Bruno und zeigte auf die gegenüberliegende Seite, auf der sich im hellen Licht ein paar kahle Baumkronen aus dem Wasser reckten.
    Über die Eisenbahnbrücke fuhr ein Güterzug, fern und spielzeughaft klein.
    »Kohlen für die Sieger«, sagte Bruno.
    Paul wandte der Brücke den Rücken zu und stapfte stromaufwärts. »Komm!«, sagte er. »Ich kann nicht dorthin schauen. Ich werde wütend, wenn ich das sehe. Die Reparationen, die sie Deutschland aufgebrummt haben, die machen uns kaputt!«
    »Die Novemberverbrecher haben zugestimmt«, sagte Bruno.
    »Wo hast du das Wort her?«
    »Hermann redet nur so von Ebert und von der Regierung.«
    »Hermann spinnt. Die Regierung konnte gar nichts anderes tun. Sie musste unterzeichnen. Hermann kapiert immer noch nicht, dass wir den Krieg verloren haben.«
    »Er will Ende Februar wieder nach München. Er hat wohl ’ne starke Hand bei der Bahn. Kann sich jedenfalls seinen Dienst als Schaffner so einteilen, wie er will. In München soll seine Partei einen neuen Namen bekommen. NSDAP soll sie dann heißen.«
    »Und was heißt das?«, fragte Paul.
    Bruno zuckte die Achseln. »Irgendwas mit national«, sagte er.
    Sie hatten nun den starken Wind im Rücken und gingen über die Dammkrone auf die Häfen zu. Kein Schiff fuhr auf dem wild gewordenen Fluss. Je näher sie den Häfen kamen, umso zahlreicher wurden die Lastkähne, die gut verankert und vertäut ein ganzes Stück vom Deich entfernt zu viert oder zu fünft nebeneinander längs im Strom lagen. Eine Frau kämpfte sich gegen den Wind über den Deich. Sie schleppte an jeder Hand eine schwere Tasche.
    »Warum driften die Schiffe nicht näher an den Deich heran?«, fragte Bruno.
    »Ich weiß es nicht«, sagte Paul. »Aber frag die Frau, die uns entgegenkommt. Das ist, wenn mich nicht alles täuscht, Henriette Krebber.«
    Die Frau setzte die Taschen ab, legte die Hände gegen den Mund und schrie zu den Schiffen hinüber.
    »Können wir helfen?«, fragte Paul.
    Die Frau schaute die beiden an und sagte: »Ach, ihr seid’s. Was sucht ihr denn hier?«
    »Wir lassen uns vom Wind die trüben Gedanken aus dem Kopf blasen«, sagte Paul.
    »Ihr könnt mir wirklich helfen. Jakob hört mich wieder nicht. Schreit mal laut rüber zur ›Annette II‹. Vielleicht dringt ihr bis zu ihm durch.«
    Sie brüllten aus voller Kehle über den Strom hin. Da tauchte aus der Roef Jakobs Wuschelkopf auf.
    Er kletterte eine Eisenleiter hinunter in einen Kahn, löste ihn von der Kette, stellte sich aufrecht hinten hinein und quirlte mit nur einer Ruderpinne hinter dem Kahn das Wasser so geschickt, dass er in ziemlich schneller Fahrt auf das Ufer zugetrieben wurde.
    »Ich würde spätestens nach drei Metern kopfüber ins Wasser stürzen«, sagte Bruno, als er sah, wie heftig der Kahn schwankte.
    Jakob aber schien das Freude zu machen. Er stand breitbeinig und sicher da und schrie: »Ahoi und willkommen!«
    »Wir wollten . . .«, sagte Paul und zeigte zu den Häfen hin.
    »Nichts da! Wir liegen hier seit Tagen still. Und nun das um sechs Wochen verspätete Adventshochwasser. Da ist uns jede Abwechslung willkommen.«
    Bruno wunderte sich, wie groß und wie gut eingerichtet die Roef, die Schifferwohnung im Achterdeck, war.
    Ganz sachte nur wiegte sich das Schiff in der Strömung. Das Auf und Nieder war kaum zu spüren. Sie saßen alle um den Tisch und Jakob schenkte einen Willkommensschnaps für Paul ein.
    »Komm, Bruno, ich zeige dir unsere ›Annette II‹«, sagte Frau Krebber.
    Sie legte dem Jungen die Hand auf die Schulter, als sie durch das schmale Gangbord nach vorn gingen.
    »Hast du inzwischen wieder Arbeit?«, fragte Jakob.
    »Nein. Seit einer Woche laufe ich mir die Hacken ab. Auf der Hütte: ›Im Augenblick nicht.‹ Auf dem Schacht Hahnenschrei: ›Schlosser, nein, vielleicht in drei Monaten.‹ In der Brauerei brauche ich gar nicht erst zu fragen.«
    »Fang doch bei Krupp an. Da ist doch vor Weihnachten die erste Lokomotive fertig geworden. Lokomotiven statt Kanonen. Wenn das kein gutes Zeichen ist! Schließlich warst du doch bei Borsig, kennst dich doch aus mit solchen Dingen.«
    »Ich will nicht nach Essen. Der Mensch ist kein Zugvogel. Irgendwo muss er zu Hause sein. Ich beginne hier Wurzeln zu schlagen.«
    »Was soll ich denn sagen?«, warf Jakob ein. »Heute in Ruhrort, nächste Woche in Rotterdam, nächsten Monat in Basel. Und da redest du von

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