Zeit zu hassen, Zeit zu lieben
von den Schiffen, die aus Holland kommen, für teures Geld was zu futtern zu kaufen? In unseren Läden kriegst du ja nichts. Es bleibt dabei, Bienmann: Hier zählen die Nieten, sonst nichts.« Er machte sich auf den Weg nach Hause.
»Danke, Bienmann«, sagte der Junge leise.
»Wir werden es nächste Woche schaffen, Junge«, machte Paul ihm Mut. »Lass den Kopf nicht hängen.«
»Heute geht es mir gut«, sagte der Junge und als Paul ihn überrascht anschaute, zog er einen Geldschein aus der Tasche und lachte.
»Lohntag war doch gestern?«, wunderte sich Paul.
Der Junge antwortete: »Karl Schneider hat mir den zugesteckt. Du kannst ihn ja fragen, wenn du mir nicht glaubst.« Er ging zur Tür, besann sich einen Augenblick und bat dann: »Frag ihn lieber doch nicht. Ich sollte es nämlich niemand sagen, dass er mir das Geld gegeben hat.«
»Es ist gut«, antwortete Paul. »Der Karl«, sagte er leise zu sich selbst, »der mit mir seine letzte Scheibe Kommissbrot teilte, der ist derselbe geblieben.«
Am Samstagnachmittag wurde bei den Reitzaks gebadet. Die Reitzaks badeten jeden Samstag. Sie waren eben eine saubere Familie.
Später hängte der alte Reitzak die Blechwanne wieder an ihren Haken in der Kammer und alle saßen sauber rund um den Küchentisch. Franziska goss Kaffee ein und Frau Reitzak kündigte an: »Heute wird es so sein wie früher. Der Bruno hat eine Überraschung für uns.«
Sie wandte sich an Bruno und forderte ihn auf: »Los, Padre! Bring selbst auf den Tisch, was wir dir verdanken.«
Bruno ging zum Herd und trug einen flachen Kochtopf herbei. Als er den Deckel lüftete, war die Freude groß. In dem Wasser schwammen zwei beachtliche Wurstringe.
»Fleischwurst! Mindestens drei Pfund Fleischwurst!«, schrie Leo begeistert. »Wo hast du die denn geklaut?«
»Stehlen habe ich nicht nötig«, prahlte Bruno. »Metzger Lohmüller hat mir die Wurst geschenkt.«
Alle starrten ihn ungläubig an. »Jawohl, geschenkt!«, wiederholte Bruno. »Ab April bin ich nämlich sein Lehrling.«
»Also, die Wurst ist dein Lehrvertrag«, sagte der alte Reitzak.
»Die Wurst und ein Handschlag«, bestätigte Bruno.
»Na, dann wollen wir mal«, drängte Leo.
Bruno teilte die Wurstringe in sechs annähernd gleich große Stücke. Jeder erhielt zwei Scheiben Brot zugeteilt.
Sie aßen mit Behagen. »Macht eine gute Fleischwurst, dein Meister«, lobte der alte Reitzak.
»Hat er für deinen Geschmack genug Knoblauch hineingesteckt?«, neckte Frau Reitzak ihren Mann.
»Das nicht gerade, aber trotzdem kann man sie essen.«
»Es ist heute fast wie in normalen Zeiten«, sagte Frau Reitzak.
»Wie lange ist das schon her, Mama, was du normale Zeiten nennst?«, fragte Ditz. »Ich jedenfalls kann mich nur an Hungerzeiten erinnern. Im Krieg gab es einen Winter lang nur Steckrüben, Steckrüben gebraten, roh, ohne Fett gekocht, brr. Von morgens bis abends nichts als Steckrüben.« Ditz schüttelte sich.
»Aber heute hat es geschmeckt«, sagte Franziska. »Gut wird’s uns gehen, wenn unser Bruno erst Metzgerlehrling ist.« Sie fuhr ihm mit der Hand durchs Haar.
»Ich schütte die Brühe nicht weg«, sagte Frau Reitzak. »Es schwimmen ein paar Fettaugen darauf.«
Nach dem Essen holte sie wie jeden Samstag die große Familienbibel von »vorne«. »Lies du heute, Padre«, sagte sie und schlug ihm das Buch auf. »Wir fangen mit den Psalmen an.«
Bruno begann mit klarer Stimme: »Selig der Mann, der nicht dem Rat der Gottlosen folgt.«
»Du liest gut«, lobte der alte Reitzak ihn, als Bruno die Bibel zuschlug. »Eigentlich könntest du jeden Samstag vorlesen.«
»Von mir aus«, sagte Bruno.
Als Frau Reitzak die Bibel wieder nach »vorne« trug, ging Bruno ihr nach.
»Ist was?«, fragte sie.
Er zog das Zeitungsfoto aus dem Brustbeutel, reichte es ihr und sagte: »Der Zirbel meinte, vielleicht kennen Sie einen auf dem Bild.«
Sie trat mit dem Foto ans Fenster, schaute es genau an und sagte: »Ich kenne niemanden davon. Mein Neffe spinnt manchmal.«
»Kommt Ihnen der, der neben der Kolonne hermarschiert, nicht doch bekannt vor?«
»Nee, auch der nicht. Wie sollte ich einen Offizier kennen? Das ist ’ne ganz besondere Sorte Mensch. Damit haben wir hier in der Blütentalstraße nichts zu tun.«
»Dann ist es doch nichts mit dem Elefantengedächtnis«, murmelte Bruno und ging in die Küche zurück.
Später fragte Paul ihn: »Kannst du mir den Pferdestall nicht mal zeigen, Padre?«
»Wenn du willst, sofort. Ich springe
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