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Zeit zu hassen, Zeit zu lieben

Zeit zu hassen, Zeit zu lieben

Titel: Zeit zu hassen, Zeit zu lieben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Faehrmann
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obere Hälfte der Tür und öffnete sie. Sogleich ertönte ein aufgeregtes Gequieke. Ein riesiges Schwein wuchtete seinen Vorderkörper auf die untere Türhälfte, damit es sehen konnte, was im Hof vor sich ging.
    Es liegt dort wie Frau Cremmes, wenn sie am Abend aus dem Fenster schaut, dachte Bruno.
    »Amanda ist ein gelehriges Schwein«, sagte Frau Klein, die inzwischen aus dem Haus gekommen war. Sie trat nahe an das Tier heran und schrie: »Wie viel ist zwei und zwei?«
    Das Schwein Amanda schlug darauf viermal mit der Pfote auf die Oberkante der Holztür.
    »Kolossal!«, staunte Schorsch. »Und so was wollt ihr in die Wurst stecken? Einen Zirkus könntet ihr damit aufmachen.«
    Frau Klein schossen die Tränen in die Augen. Sie schlug sich die Schürze vor das Gesicht und rannte ins Haus zurück.
    »Ihr seht ja«, knurrte Helmut Klein, »ich habe gerade Zirkus genug. Das Biest hätte schon letzten Herbst geschlachtet werden müssen, aber meine Tutti wollte nicht.«
    »Na ja«, sagte Schorsch, »mittlerweile ist der Speck wenigstens schön dick geworden.«
    Sie trugen die Geräte, die sie am nächsten Tag zum Wurstmachen brauchen wollten, in die geräumige Waschküche. Die Leiter wurde aufgestellt.
    Schorsch band die Stricke daran fest. Das große Rasiermesser für das Abschaben der Borsten, verschiedene Messer und Beile reihten sich auf einem sauberen Tuch, das Frau Klein über eine Bank gelegt hatte. Die Wannen für die Därme, Schüsseln und Töpfe, alles war schließlich bereit.
    Schorsch schwang sich mit einem Satz über die Halbtür in den Stall. Er band Amanda einen Strick um das rechte Hinterbein. Das Tier ließ das mit sich geschehen, ohne Widerstand zu leisten.
    »Wirklich eine brave Sau«, sagte Schorsch. »Schau dir’s gut an, Bruno. Das ist beim nächsten Mal deine Arbeit.«
    »Bist du so weit?«, fragte Lohmüller.
    »Ich bin so weit.«
    »Also los, die Tür öffnen!«
    Das Tier ließ sich von der Halbtür herabgleiten. Es tänzelte in den Hof, grunzte mehrfach kurz und drehte seinen Ringelschwanz wie einen Quirl. Mit lautem »Kuschkuschkusch« trieb Schorsch das Schwein vor sich her.
    »Ein Prachtgeschöpf!«, lobte Lohmüller. Dann sagte er zu Helmut Klein: »Der Junge ist heute zum ersten Mal dabei. Packst du mit Schorsch die Ohren?«
    »Aber ja doch«, willigte Helmut ein.
    »Du nimmst den Strick, Bruno«, ordnete der Meister an. »Aber kremple dir erst die Ärmel hoch und halt den Strick schön stramm nach hinten weg.«
    Bruno nahm den Strick aus Schorschs Hand. »Halt ja gut fest!«, warnte Schorsch. »Manchmal sind sie wie wild!«
    Dann fassten Helmut und Schorsch auf Lohmüllers Kommando je ein Ohr.
    Amanda schien jetzt doch zu spüren, dass Gefahr in der Luft lag. Sie versuchte, die Männer abzuschütteln, aber das gelang ihr nicht.
    Lohmüller spuckte in die Hände und griff nach dem Vorhammer. Brunos Mund war vor Aufregung ganz trocken.
    Der Metzger sagte: »Jetzt!«, schwang in einem mächtigen Rundschlag den Hammer und ließ ihn mit voller Wucht dem Tier auf den Schädel sausen.
    Ein Schauer durchlief Amanda. Mit einem Ruck befreite sie sich aus dem Griff der beiden Männer, drehte sich und raste den Ziegelweg entlang.
    Bruno ließ den Strick nicht los, wurde aber von der letzten Kraft des Schweins mitgezerrt.
    Plötzlich blieb Amanda stehen und schwankte. Die Beine knickten ein.
    »Messer und Schüssel hierher!«, schrie Lohmüller aufgeregt.
    Schorsch drückte ihm das spitze Messer in die Hand. Der Meister stach zu und während das helle Blut pulsierend aus dem Schweinehals in die Schüssel schoss, zuckte das rechte Vorderbein: Zwei und zwei ist vier. Die flache Schüssel füllte sich mit Blut. Für einen Augenblick sperrte Lohmüller das Blut ab, indem er seine Faust in die Wunde presste. Das Blut wurde aus der Schüssel in einen Eimer geschüttet.
    »Rühren, Bruno! Los, rühren!«, brüllte Lohmüller.
    Bruno stand noch immer mit dem Strick in der Hand. Es würgte ihn. Er hörte Lohmüllers Stimme wie durch einen Nebel.
    »Lass man, ich mach’s schon«, sagte Schorsch und hielt das Blut im Eimer mit seinem bloßen Arm in Bewegung, damit es nicht gerinnen konnte.
    Wie im Fieber erlebte der Junge die nächsten Stunden.
    Frau Klein hatte sich längst wieder zu ihnen gesellt. »Ist genug heißes Wasser da«, sagte sie.
    Mit einem Schöpfer goss Schorsch kochendes Wasser über das Tier und Lohmüller kratzte mit einem Schaber sorgfältig die Borsten ab. Zum Schluss nahm er das lange

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