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Zeit zu hassen, Zeit zu lieben

Zeit zu hassen, Zeit zu lieben

Titel: Zeit zu hassen, Zeit zu lieben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Faehrmann
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liebsten würden sie uns ganz verschlucken.«
    »Die sogenannten Regiezüge rollen wieder nach Westen.«
    »Regiezüge?«, fragte Bruno.
    »Unter französischer und belgischer Regie«, erklärte Paul. »Kohlen, Kohlen, Kohlen für die Sieger.«
    Leo war inzwischen auch an den Frühstückstisch gekommen. Er sagte: »Was heißt hier Sieger? Kein Gegner hat im Krieg deutschen Boden betreten. Unsere Armeen standen tief in Feindesland. Hier, die in der Heimat haben schlapp gemacht. Die Heimatfront hat den Soldaten den Dolch in den Rücken gerammt.«
    »Höre ich nicht den Hermann Cremmes reden?«, fragte Frau Reitzak.
    Leo gähnte.
    »Halt die Hand vor den Mund«, tadelte Franziska ihn.
    »Halt lieber ganz den Mund, Leo«, sagte Paul heftig. »Red nicht von Sachen, die du nicht kennst. Sicher, wir standen weit in Frankreich, aber wir waren stehend k.o.«
    »Ach ja«, sagte Ditz, »nächste Woche boxt Hans Breitensträter um die deutsche Meisterschaft.«
    »Was soll der Unsinn, Junge?«, schimpfte Frau Reitzak.
    »Paul sagte es doch«, verteidigte sich Ditz. »Stehend k.o. will er seinen Gegner schlagen.«
    Paul schüttelte den Kopf. »Verrückte Familie«, murmelte er. Laut aber sagte er: »Bruno, zieh deine dicke Jacke an, es ist frisch heute Morgen.« Sie hatten ein Stück Weg gemeinsam. Metzger Lohmüllers Geschäft lag auf dem halben Weg zur Werft.
    »Bruno«, sagte Paul, »hast du eigentlich damals in Liebenberg schon gesehen, wie ein Tier geschlachtet wird?«
    »Nur bei Kaninchen, Paul. Bei größeren Tieren nicht. Die Mutter Warczak war ziemlich ängstlich. Alle Kinder wurden ins Haus geschickt, wenn der Metzger kam. Erst wenn das Schwein auf der Leiter hing, durften wir wieder raus.«
    »Halt die Ohren steif, Junge«, riet Paul.
    »Sicher, Paul.«
    »Weißt du, auf dem Pütt war’s auch ziemlich schwer, so tief unter Tage. Ich wurde ganz nervös, wenn ich daran dachte, dass da so viele Tausend Tonnen Gebirge über mir hingen.«
    »Und auf der Werft, Paul? Wie geht es dir da?«
    »Hm«, brummte Paul nachdenklich. »Es ist anders als vor Kohle. Lärm ist da auch. Eisen auf Eisen. Die Niete wird ins Bohrloch gesteckt, du haust das Ende platt, den ganzen Tag Niete rein, Hammer drauf. Wir schaffen jetzt fünfundsiebzig pro Stunde.«
    »Und das gefällt dir?«
    »Der Marek sagt, ich wäre nicht ganz der richtige Mann für so was. Er sagt, ich hätte es nicht raus, das Denken für acht Stunden abzustellen, und denken bei der Arbeit, das soll schädlich sein für einen guten Nieter.«
    »Und was sagst du selbst?«
    »Der Mensch muss leben von der Arbeit, Junge. Du weißt doch, es steht geschrieben: ›Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot verdienen.‹«
    »Stimmt, Paul. Aber es steht nichts davon geschrieben, dass du keine Freude haben darfst an der Arbeit.«
    Paul legte die Hand über Brunos Schulter. Er lachte und sagte: »Sie nennen dich Padre. Ich glaub, so falsch ist das gar nicht.«
    »Ich meine, es müsste so sein wie bei Franziska, Paul. Sie rackert sich auch ab. Viel länger als acht Stunden am Tag. Aber jeder kann es spüren: Sie macht ihre Arbeit gern.«
    »Bei ihr ist nicht nur die Hand dabei, Bruno. Der Kopf und das Herz auch. Manchmal sogar etwas zu viel Kopf und Herz. Bleibt für mich zu wenig übrig, fürcht ich.«
    Es war schön, dicht neben Paul herzulaufen. Es machte Bruno keine Mühe, seine Schritte denen Pauls anzupassen.
    Als sie sich der Metzgerei näherten, sagte Paul noch: »Und du weißt es ja, Bruno: Lehrjahre …«
    »Jaja«, fiel Bruno Paul ins Wort. »Ich habe es dreihundertzweiundfünfzigmal in der letzten Woche gehört. Lehrjahre sind keine Herrenjahre.«
    »Alles Gute, Bruno.«
    »Danke, Paul.«
    Rechts neben dem Schaufenster des Metzgerladens lag eine große Toreinfahrt. Die Holzflügel waren weit nach innen eingeschlagen. Bruno schritt durch die Einfahrt und ging über den Hof ins Schlachthaus.
    Auf einem langen Holztisch, der unter den Fenstern quer durch den ganzen Raum lief, saß der Geselle. Er war wesentlich älter als Lohmüller, klein und schmal. In sich zusammengesunken, hockte er da und sah eher aus, wie man sich einen Schneider oder einen Buchhalter vorstellte.
    »Ich bin der Bruno Kurpek, der neue Lehrling«, stellte sich der Junge vor.
    »Ich heiße Schorsch«, sagte der Geselle. Mit einem kurzen Blick schaute er Bruno abschätzend an.
    Meister Lohmüller kam pfeifend in das Schlachthaus. »Aha, da bist du ja, Bruno«, begrüßte er ihn fröhlich. »Den

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