Zeit zu hassen, Zeit zu lieben
Messer, wetzte es rasend schnell über den Stein und rasierte so lange, bis auch das feinste Haar herunter war. Wieder wurde Wasser über Amanda gegossen, dann spreizte Lohmüller der Sau die Hinterbeine mit Gewalt und Schorsch band sie an dem Hangholz fest. Es war eine harte Arbeit, das Tier auf die kurze Leiter zu wälzen. Das Hangholz wurde festgezurrt. Herr Klein und Schorsch hoben das eine Ende der Leiter an. Lohmüller beugte sich so darunter, dass die Sprossen auf seinem Rücken lagen. Gemeinsam und mit lautem »Hau – ruck!« stemmten sie die Leiter gegen die Wand und schoben sie allmählich hoch.
Wannen und Gefäße wurden näher herangerückt. Lohmüller begann mit dem Ausweiden. Eine Gestankwolke, nebelweiß und dampfend, strömte aus der Bauchhöhle und dann glitten die blaugelblichen Därme in eine große Wanne.
Schorsch begann gleich mit dem Reinigen der Därme. Lohmüller legte die Innereien in verschiedene Schüsseln. Sorgfältig schnitt er aus der Leber die Gallenblase heraus. Die geöffnete Bauchhöhle des Schweins wurde weit aufgeklappt und das Fett zu beiden Seiten herausgezogen.
Frau Klein schnitt ein Stück davon ab, zerteilte es und füllte es in einen kleinen Topf.
»Warte erst auf den Trichinenbeschauer«, warnte Helmut Klein.
»Ach was«, wehrte die Frau ab. »Unsere Tiere hatten noch niemals Trichinen.« Später kam sie aus der Waschküche und sagte: »So, jetzt gibt es den ersten Lohn!« Sie trug den Topf mit flüssigem goldgelbem Fett herbei. »Ist nicht mehr heiß«, sagte sie und gab Lohmüller eine Soßenkelle in die Hand.
Der schöpfte die Kelle randvoll, führte sie an die Lippen und trank sie in einem Zug leer.
»Ein Metzger braucht starke Muskeln«, erklärte Schorsch. »Nichts ist besser für die Muskeln als frisches Fett.«
Die Kelle wanderte in seine Hand und er schöpfte und trank.
»Und jetzt der Junior«, ermunterte Frau Klein den Jungen.
Der nahm unschlüssig die Kelle, schöpfte schließlich, aber der Geruch des ausgelassenen Fettes schnürte ihm die Kehle zu. »Ich kann nicht«, sagte er und legte die Kelle in den Topf zurück.
»Aber sicher kannst du.« Lohmüller bestand darauf, dass er trank. »Im nächsten Jahr musst du den Hammer schwingen. Dann hast du viel Kraft nötig.«
»Nein«, beharrte Bruno.
»Los, pack ihn, Schorsch!«, schrie Lohmüller.
Der Geselle fasste ihn von hinten und presste ihm die Arme an den Leib. Bruno wand sich, aber Lohmüller kam entschlossen auf ihn zu und drückte Daumen und Mittelfinger mit festem Griff gegen die Wangen des Jungen und goss ihm das warme Fett in den geöffneten Mund. Schorsch ließ ihn los.
Einen Augenblick stand Bruno wie gelähmt, dann rannte er ein paar Schritte bis zum Zaun. Sein Magen drehte sich und er würgte und weinte.
»Schlappschwanz!«, rief Lohmüller verächtlich.
»Wenn es dir besser geht, komm uns nach in die Waschküche«, sagte Schorsch und es klang etwas wie Verständnis durch seine Worte.
Bruno stand noch eine Weile über den Zaun gebeugt. Die Bilder des Tages zogen an ihm vorüber: der Hammerschlag, das Blut, der Gestank, der beim Reinigen der Därme aufstieg, die Hektik der letzten Stunden. Da trat Frau Klein zu ihm und strich ihm über den Rücken.
»Ich gehe nach Hause. Ich will nicht Metzger werden«, stieß Bruno hervor. »Nie, nie, nie!«
»Ich verstehe dich, Junge«, sagte sie leise zu ihm.
Als Bruno sich wieder ein wenig wohler fühlte, schlich er sich über den Ziegelweg davon. Er wagte nicht einmal mehr, einen Blick auf das Schwein zu werfen, das zum Auskühlen noch auf der Leiter hing.
Frau Klein trat aus der Haustür. Sie hatte vier Päckchen in der Hand. »Zwei und zwei ist vier«, lächelte sie. »Gib das zu Hause ab. Sie werden sich freuen.«
»Danke«, sagte Bruno.
Es war ein Weg von höchstens zwanzig Minuten bis in die Blütentalstraße, aber Bruno brauchte dazu fast eine Stunde. Dann aber schritt er entschlossen die Treppe hinauf. In der Küche saßen sie schon beim Abendbrot.
Er legte die Päckchen auf die Wasserbank, die neben dem Herd stand.
»Na, Metzger, wie war’s?«, fragte Franziska.
»Nie, nie, nie werde ich Metzger!«, schrie der Junge und rannte in seine Kammer.
»Man muss ihm Zeit lassen«, sagte der alte Reitzak.
»Aber ich bin für ihn verantwortlich. Er kann doch nicht die gute Stelle sausen lassen«, widersprach Paul.
»Bist zu plötzlich so ’ne Art Vater geworden, Paul.« Martin Reitzak dachte an seine Söhne. »Gerade weil du zu ihm
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