Zeit zu hassen, Zeit zu lieben
Schorsch hast du sicher schon kennengelernt. Wir drei werden das Kind schon schaukeln, was?«
Er wandte sich an Schorsch. »Was macht dein Magen?«
»Heute spür ich ihn kaum«, antwortete Schorsch.
»Ich sage dir, wenn du das Rauchen nicht aufgibst, dann kriegst du keine Ruhe.«
Er ging zu einer Schiefertafel, die an einer Schnur neben der Tür hing, und las halblaut: »Donnerstag, 15. April, Klein, Ostacker, Hausschlachtung. Nicht vor elf Uhr.« Er wandte sich Schorsch zu und sagte: »Soll eine Sau sein, die schwerer als vier Zentner ist. Wir gehen alle drei dorthin. Bis dahin, Schorsch, mach hier im Schlachthaus alles klar. Morgen wird eine Kuh angeliefert.«
»Ja, Meister, mach ich.«
»Und du, Junge, komm du mal mit in den Pferdestall.«
Bruno lief neben Lohmüller her. Der Pferdestall war ein heruntergekommener Anbau, so niedrig, dass Bruno die Decke berühren konnte, wenn er den Arm hochreckte. Ein einziges kleines Fenster war blind von Dreck und mit Spinnweben dicht verhängt. Die magere Mähre, eine Rappstute mit staubigem Fell, stand angekettet auf einer ziemlich dicken Mistschicht.
»Hier muss Ordnung rein, Bruno. Sieh zu, dass du das hinkriegst.«
»Ja, Meister.«
»Wir fahren um halb elf los. Du kannst dann auf dem Wagen deine Frühstückspause machen. Und halte dich ran.«
Bruno wollte zunächst einmal beginnen, den Mist auf eine Schiebkarre zu laden und den Boden der Box zu säubern.
Das Pferd legte die Ohren nach hinten, als er sich näherte. Er redete ruhig auf das Tier ein. In einer Kiste fand er einen Rest Hafer. Auf der flachen Hand hielt Bruno der Stute das Futter hin. Nach einer Weile nahm das Pferd die Körner, ja, es ließ sich sogar von Bruno tätscheln. Er führte es auf den Hof und band es mit einem Lederriemen an einem Eisengitter fest.
Es dauerte länger als zwei Stunden, bis er den gröbsten Unrat aus dem Stall geschafft hatte.
Dann bürstete und striegelte er das Pferd und spürte dabei erst richtig, wie mager das Tier war. »Fell und Knochen«, sagte er.
Für einen Augenblick kam Lohmüller heraus und sah Brunos Werk an. »Sieht schon anders aus«, lobte er.
»Kann ich den Stall nicht kälken?«, fragte Bruno.
»Wäre nicht schlecht«, stimmte Lohmüller zu.
»Und Sie sollten Treber mitbringen von der Brauerei.«
»Treber?«
»Ja, das bleibt beim Bierbrauen von der Gerste übrig. Die Pferde fressen es, wenn sie Hunger haben.«
»Ja«, sagte Lohmüller. »Unsere Lotte ist fünfzehn Jahre alt, aber fett war sie noch nie.«
Er näherte sich dem Pferd. Lotte presste die Ohren wieder platt an den Kopf. Er schlägt das Tier oft, dachte Bruno.
»Ein Biest ist das, unser Klepper! Mich wundert, dass du noch nicht gebissen worden bist.« Dann fragte er: »Kannst du anschirren?«
»Sicher«, antwortete Bruno.
»In zehn Minuten fahren wir.« Lohmüller schrie zum Schlachthaus hinüber: »Schorsch, pack unsere Klamotten in den Wagen! Gleich geht es los.«
Das Ledergeschirr war ebenso verwahrlost wie Stall und Tier. »Bis das alles in Schuss ist, habe ich hier als Stallbursche vier Wochen zu tun«, sagte Bruno zu Schorsch.
»Wirst Zeit genug haben«, antwortete Schorsch. »Zu schlachten gibt’s in diesen Tagen nicht viel.«
Der Wagen war ein geschlossener, gut gefederter Kastenwagen. »Lohmüllers f. f. Wurst- und Fleischwaren« stand in großen Buchstaben auf beiden Seitenflächen. Auf der Tür hinten war in kleineren Buchstaben zu lesen: »Spezialität Hausschlachtungen«.
Lohmüller trat hinten an den Wagen heran und zählte auf: »Werkzeugkasten, Stricke, Kochtöpfe für die Wurst, Fleischwolf, Leiter, Vorhammer, Gewürzkiste.« Er schlug die Türen zu und sprang auf den Bock. »Also los!«, rief er. »Bringen wir die Sau um!«
Der leichte Wagen rasselte über das Pflaster der Hauptstraße und dann rumpelte er über die geschotterten Nebenstraßen. Ziemlich am Rande des Stadtteils brachte Lohmüller den Wagen vor einem niedrigen Haus zum Stehen. »Da sind wir«, sagte er. »Sehen wir uns das Vieh erst einmal an.«
Neben dem Hause her führte ein mit Ziegelsteinen gepflasterter Weg in den Hof.
»Da bist du ja, Albert«, wurde Lohmüller von einem Mann begrüßt, der auf dem Ziegelpflaster kniete und eine schadhafte Stelle neu mit Steinen auslegte.
Er stand auf und schüttelte Lohmüller die Hand. »Alles ist vorbereitet«, sagte er.
Sie gingen in den Hof. Eine grüne Holztür führte in den Stall. Der Mann, den Lohmüller mit Helmut anredete, entriegelte die
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