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Zeit zu hassen, Zeit zu lieben

Zeit zu hassen, Zeit zu lieben

Titel: Zeit zu hassen, Zeit zu lieben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Faehrmann
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wusste, dass Eduard und Robert im Kleiderschrank Karabiner stehen hatten. Mehr als hundert Schuss Munition lagen im Wäschefach versteckt.
    Wenn vom Krieg die Rede war, dann konnte Bruno nicht genug erfahren. Paul sprach dann wie zu sich selbst, sprang aber mit heißem Kopf plötzlich auf und beschimpfte sich: »Warum komme ich nicht davon los? Ich will vergessen, Bruno, vergessen will ich das alles, verstehst du?«
    Meist knallte er dann die Tür hinter sich zu und lief hinaus.
    »Er hat wieder geschossen, nicht wahr?«, sagte dann Frau Podolski, wenn Bruno zu ihr in die Küche ging. Bruno nickte und sie fügte hinzu: »Ich hab den Knall gehört.«
    An einem solchen Tag im Februar, bei Borsig wurde seit drei Tagen gestreikt, ging Paul schon am Vormittag zu »Olgas Quelle« hinüber. Es standen nur wenige Männer an der Theke. Pauls Augen mussten sich erst an das trübe Licht in der Gaststube gewöhnen. Er hörte, dass im Saal etwas los war. Stimmengewirr drang bis in die Gaststube herein.
    »Die Sozis streiten mit denen vom Spartakus«, erklärte die Wirtin. »Hoffentlich bleibt’s bei den Wortschlachten. Von Saalschlachten habe ich allmählich die Nase voll.«
    Paul ließ sich ein Bier zapfen und schlenderte zur Saaltür. Ungefähr dreißig Männer saßen auf den Stühlen, einige rittlings, die hielten ihr Bier in der Hand und stützten das Glas auf die Stuhllehne. Sie kehrten Paul den Rücken zu und schauten auf zwei Männer, die sich jeder auf einen Tisch gestellt hatten und heftig debattierten. Es waren die alten Themen: Räterepublik durch eine Revolution oder eine Wahlrepublik, wie Ebert sie wollte. Als die beiden Kampfhähne sich »Arbeiterverräter« und »bolschewistischer Wirrkopf« beschimpften und die Zuhörer schon aufgeputscht von den Sitzen sprangen, da zog ein Mann den Sozialdemokraten, der bisher geredet hatte, vom Tisch und trat an seine Stelle.
    »Genossen«, sagte er ganz ruhig, »was denkt ihr wohl, wer sich am meisten freute, wenn er wüsste, wie uneinig wir Arbeiter sind?«
    Paul hätte am liebsten »Karl!« geschrien, aber er biss sich auf die Lippen und hörte zu, was Karl Schneider sagte. Dem gelang es ziemlich schnell, die Männer nachdenklich zu machen.
    Er rief: »Erinnert ihr euch noch an August 1914? Habt ihr vergessen, wie wir damals in den Krieg gezogen sind? Gejubelt haben wir und begeistert waren wir alle!«
    »Du vielleicht«, versuchte der Spartakusmann noch einmal die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, aber aus der Zuhörerschar wurde »Ruhe!« geschrien und: »Lasst den Mann reden!«
    »Wir haben unseren Verstand damals ausgeschaltet«, fuhr Karl fort. »Wir sind wie Blinde ins Elend marschiert.«
    »Du hast doch bestimmt in der Etappe gesessen, du Klugscheißer!«, rief der Spartakist.
    »Hat er nicht!«, rief Paul laut.
    Die Gesichter wandten sich ihm zu.
    »Karl Schneider war vom ersten bis zum letzten Tag an der Front. Er war zweimal verwundet. Ich hab oft genug neben ihm im Dreck gelegen. Ich kann’s bezeugen.«
    »Mensch, Paul!«, rief Karl überrascht, aber dann fuhr er fort: »Genossen, was geschieht in diesen Wochen in Berlin und in ganz Deutschland? Wieder ist die Begeisterung groß. Wieder wird wenig nachgedacht und viel geschrien. Wieder bezahlen wir das alles mit unserem Blut. Ich bin dafür, dass wir den Frieden nicht genauso falsch beginnen, wie wir den Krieg angefangen haben. Lasst uns überlegen, lasst uns nachdenken und kühl handeln. Was wir brauchen, das ist ein neues Recht, eine neue Verfassung. Ich bin dafür, dass wir mit dem Verstand kämpfen und nicht mit der Faust.«
    »Bravo!«, riefen einige und: »Sehr richtig!«
    »In vielen Parteien sitzen Arbeiter, in der USPD, im Zentrum und in der Partei, der ich angehöre, in der SPD. Lasst uns gemeinsam dafür sorgen, dass unsere Interessen vertreten werden, dass Gerechtigkeit endlich auch für uns Arbeiter geschaffen wird, für uns und für das ganze Volk.«
    »Bravo!«, stimmten die meisten zu. Andere aber sagten auch: »Er ist ein Träumer. Ohne Gewalt geht nichts in diesem Land.«
    Die Versammlung begann sich zu zerstreuen. Karl drängte sich zwischen den Männern durch bis hin zu Paul. Der schüttelte Karl die Hand und schlug ihm auf die Schulter, doch Karl schrie auf und sagte: »Mensch, Paul, denk an meine Verwundung.«
    Sie setzten sich an einen Tisch in der Ecke der Gaststätte und begannen zu erzählen, wie es ihnen in den letzten Monaten ergangen war. Sie vergaßen alles rund um sich herum. So

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