Zeitbombe Internet
Deutsch spricht, und der Pressesprecher soll einen Schuhverkäufer in Berlin mimen, der kein Englisch versteht.
Vor ihnen auf einem Stehtisch liegt ein Smartphone mit dem neuesten Betriebssystem von Google. Die Software heiÃt Android und ist dabei, das zu werden, was Windows von der Firma Microsoft für die Welt der Heimcomputer ist: der Standard für die Basis-Software moderner Telefone. Sie legt fest, was das Handy kann und welche Programme darauf laufen. Google hat mit Android die Konkurrenten von Apple, Research in Motion (Blackberry) und Microsoft bereits hinter sich gelassen, ist auf mehr Smartphones installiert als irgendein anderes Betriebssystem, und insofern wird Android der Menschheit â wenn es nach Google geht â ein wenig unter die Arme greifen.
Nun beugt sich Barra über das Handy und fragt es auf Englisch:
»Do you have these shoes in size 41?«
Eine Kamera ist auf den Bildschirm des Handys gerichtet und überträgt alles auf eine Leinwand hinter den beiden Männern. Das Handy zeigt ein Mikrophon und die Worte »Speak now« â jetzt sprechen. Wenige Sekunden später sagt eine maschinelle, weibliche Alt-Stimme. »Sie haben die Schuhe in der GröÃe 41.« Dass es sich um eine Frage handelt und die Stimme am Ende nach oben gehen müsste, versteht der Computer noch nicht. Aber ansonsten gelingt die Ãbersetzung tatsächlich.
»Welche Farbe?«, sagt Overbeck, der weiter den Schuhverkäufer spielt, aber dieses Mal versteht die Maschine nicht, sie bockt und wiederholt mehrfach »which cable«. Einen Moment lang sieht es so aus, als müsste Barra abbrechen, doch dann sagt das Handy plötzlich »What colour?«
Barra: »Black or brown would be fine.«
Maschine: »Schwarz oder braun wäre schön.«
Overbeck: »Wir haben schwarz und braun.«
Maschine: »We have black and brown.«
Das Handy hat simultan übersetzt! Ein paar Ahhs und Ohhs sind zu hören, denn hier und in diesem Moment ist ein lange gehegter Traum in Erfüllung gegangen. Dass Computer simultan übersetzen, daran arbeiten die besten Computerwissenschaftler
seit zwanzig Jahren. Und nun erwähnt Eric Schmidt ganz lässig, die Simultanübersetzung werde Google bald für hundert Sprachen anbieten.
Noch Monate schwärmt Schmidt von diesem Tag.
Mai 2011, eine Gründerzeitvilla am Ufer des Wannsees, die American Academy hat den Google-Manager zum Vortrag eingeladen. In der Eingangshalle und in den Treppenaufgängen hängen gerahmte Fotos von Besuchern, Rednern, Weltveränderern, die hier auch schon aufgetreten sind: Helmut Kohl, Hillary Clinton, Henry Kissinger, Joschka Fischer, Richard von Weizäcker. Und jetzt Schmidt. Auf die Frage nach seinen Visionen und neuesten technischen Plänen sagt der: »Als wir hier in Berlin ein Google-Handy gezeigt haben, das simultan übersetzen kann, war das einer der wichtigsten Momente in meiner Zeit bei Google.«
Natürlich schmeichelt er damit den anwesenden Deutschen, aber er meint es offenbar trotzdem ernst.
»Wie viele Kriege hätten verhindert werden können, wenn die Gegner einfach direkt miteinander hätten sprechen können. Wenn sie die Sprache des anderen verstanden hätten.«
Ja, Schmidt meint das ernst. Er glaubt daran, dass die Welt mithilfe der Technologie ein besserer Ort wird.
Doch ein Handy alleine â auch eines von Google â ist zu schwach. Genauso wenig können iPads und Navigationsgeräte all die Ortungs-, Ratgeber- und Steuerungsfunktionen alleine vollbringen. Deshalb vollbringt jemand anderes im Hintergrund die wahre Arbeit. Ein Supercomputer. Rechner mit Fühlern in aller Welt, die mehr vermögen, mehr wissen und mehr beobachten, als wir Menschen ahnen. Alleine Google besitzt an die hundert solcher Rechenzentren. Andere Internet- und Computergiganten wie Amazon, Microsoft und IBM eifern dem Suchmaschinenkonzern nach â aber aus Sicherheitsgründen machen sie nicht viel Aufhebens darum â und selbst in den USA halten sie die Standorte ihrer Datencenter geheim.
Die allwissenden Superhirne, die unser Leben besser machen sollen â sie stehen irgendwo da drauÃen.
Es ist eine ziemlich öde Autofahrt. Je weiter man auf dem Hochplateau entlang des Columbia River vorandringt, desto karger wird die Vegetation. Ganz oben gedeiht nur noch windgeplagtes Gestrüpp und welkes Gras. Verrostete Schienen treffen auf eine
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