Zeitbombe
Halbzeitkonferenz der Fußball-Bundesliga im Radio.
»Wie steht’s?«, fragte Lenz ohne echtes Interesse.
11
»Meine Fresse, was ist nur in den Kerl gefahren?«, überlegte Hain laut, während er die Beine anzog, die Beifahrertür öffnete und aus dem Wagen stieg.
»Keine Ahnung. Und es ist mir, offen gesagt, auch scheißegal. So wie eben ist er mir nämlich in den ganzen Jahren, in denen er mein Vorgesetzter war, nicht auf die Nerven gegangen.«
»Was ist denn noch passiert?«
Lenz winkte ab.
»Egal. Bringst du mich nach Hause?«
»Nichts lieber als das.«
Die Fahrt Richtung Wilhelmshöhe verlief schweigend. Hain konzentrierte sich auf die Fußballübertragung, Lenz war in seine Gedanken versunken und freute sich auf Maria. Beiden drang der Schweiß aus allen Poren, weil die Temperatur mittlerweile auf mehr als 35 Grad im Schatten angestiegen war.
»Ich will am Wochenende nur noch was von dir hören, wenn irgendwo eine Bombe explodiert, Thilo«, gab Lenz seinem Kollegen zum Abschied mit auf den Weg, nachdem er sich vor seinem Haus aus dem Wagen geschält hatte.
»Und eigentlich will ich selbst dann in Ruhe gelassen werden. Verstanden?«
»Klar. Dann mache ich jetzt mein Telefon aus, lege mich zu Hause in den Garten und schaue meinen Kindern beim Wachsen zu.«
»Mach das. Und wenn du am Montag …«
Das Klingeln seines Telefons unterbrach den Hauptkommissar. Er sah auf das Display, überlegte einen Augenblick, ob er das Gespräch annehmen sollte, und drückte dann mit einem Seufzer die grüne Taste.
»Ja, Herr Doktor, was gibt’s?«
Zu seiner großen Überraschung antwortete eine Frau.
»Hier spricht Angelika Weber. Ich bin die Praktikantin.«
»Ja, ich weiß, wer Sie sind«, unterbrach Lenz die Frau sanft, während er Hain, der schon den Motor gestartet hatte, bedeutete, mit der Abfahrt zu warten.
»Was kann ich denn für Sie tun, Frau Weber?«
»Für mich persönlich eigentlich gar nichts. Mein Chef bittet Sie, zu uns ins Institut zu kommen.«
»Wieso das?«, fragte der Polizist voller Erstaunen.
»Wegen der genauen Hintergründe bitte ich Sie, ihn selbst zu fragen; ich möchte seinen Ausführungen auf gar keinen Fall vorgreifen.«
»Ist es denn wichtig? Oder hat es Zeit bis Montag?«
»Nein, Dr. Franz bittet explizit um Ihren umgehenden Besuch.«
Lenz sah einen Moment lang in den strahlend blauen Himmel über sich, verdrehte dabei die Augen und atmete tief durch.
»Wir sind in einer guten halben Stunde da, Frau Weber.«
»Gut, ich richte es aus. Bis dahin.«
Damit klickte es in dem kleinen Lautsprecher an seinem Ohr.
Hain sah seinen Boss erwartungsvoll an.
»Wo fahren wir hin? Oder besser, wo fährst du allein hin, weil ich doch eigentlich schon zu Hause …«
»Ich weiß«, wurde er von Lenz unterbrochen, »du liegst eigentlich schon im heimischen Unterholz rum und schaust deinen Kindern beim Wachsen zu. Aber das muss noch etwas warten, wir sollen vorher noch mal schnell nach Göttingen kommen.«
»Wie, nach Göttingen?«
Der junge Oberkommissar sah seinen wunderbar im heimischen Garten ausklingenden Samstagnachmittag am Horizont verschwinden.
»Was können du und ich schon in Göttingen zu tun haben?«, sonderte Lenz eine höchst rhetorische Frage ab, um gleich im Anschluss die Antwort nachzuschieben.
»Dr. Franz wünscht unsere Aufwartung. Und zwar pronto.«
Hain kratzte sich nachdenklich am Kinn, legte den Kopf schief und sah seinen Boss skeptisch an.
»Ich bin mir da gar nicht so sicher, ob er wirklich unsere Aufwartung wünscht, Paul. Meinst du nicht auch, dass es reichen würde, wenn du allein ihn durch einen Besuch beglücken würdest? Und überhaupt, was hat er denn so Dringendes auf der Pfanne?«
»Das hat Frau Weber, seine Praktikantin, mir nicht verraten wollen. Sie hat allerdings darauf hingewiesen, dass der Doc es ziemlich wichtig macht.«
Hain stöhnte wie ein Schuljunge auf.
»Du weißt genau, wie du mich immer wieder kriegst, Paul. Jetzt bin ich neugierig geworden und fahre mit dir nach Göttingen, obwohl ich insgeheim viel lieber zu Hause bei Weib und Nachwuchs wäre.«
»Tja«, lächelte Lenz, »das ist schon übel, wenn man so neugierig ist wie du.«
»Denk bloß nicht, dass ich es nicht einfach lassen könnte«, erwiderte der Oberkommissar mit gespielter Lässigkeit.
»Schwachsinn.«
Nachdem Lenz seiner Freundin, die er lesend auf der Terrasse vorfand, erklärt hatte, dass sie sich noch etwas gedulden müsse, bis er endgültig nach Hause kommen
Weitere Kostenlose Bücher