Zeitbombe
ansehen und notieren würde, Frau Humpe?«
»Nein, warum? Aber …«, fuhr sie zweifelnd fort, »wenn Wolfram sich nach Ihrer Meinung das Leben genommen hat, wozu sollten Sie die Nummern dann brauchen? Und wenn ich Ihren Kollegen richtig verstanden habe, gibt es keinen Zweifel daran, dass er …«
»Wir müssen«, räusperte Lenz sich, »natürlich immer in alle Richtungen ermitteln, Frau Humpe. Dazu gehört selbstverständlich, dass wir sämtliche Eventualitäten berücksichtigen.«
Wieder ließ die Frau sich Zeit, bevor sie mit tränenerstickter Stimme antwortete.
»Dann sind Sie sich also gar nicht so sicher, dass es wirklich Selbstmord war, wie Sie tun?«, folgerte sie.
Der Hauptkommissar schluckte.
»Nun ja, der Anschein ist eigentlich eindeutig. Der Leichnam Ihres Mannes wird zur Stunde obduziert, danach sehen wir weiter. Aber …«
»Ich bin«, unterbrach sie ihn sanft, »lange genug die Frau eines Polizisten gewesen, um zu wissen, dass nicht jeder Selbstmörder obduziert wird, Herr Lenz. Also, gibt es Zweifel?«
Erzählen Sie der Frau bloß nichts von Ihren spinnerten Ideen, hallten die Worte von Franz Zwick laut und deutlich durch Lenz’ Gehirnwindungen.
»Nein«, erwiderte er schließlich, »es gibt keine Zweifel. Die Sache ist eindeutig.«
»Dann muss ich Sie noch einmal fragen, warum er das getan haben sollte. Es ging Wolfram über alle Maßen gut, Herr Kommissar.«
»Hat Ihr Mann in der letzten Zeit vielleicht einmal einen ungewöhnlichen Anruf bekommen, Frau Humpe?«, würgte Hain eine mögliche Antwort auf ihre Frage gekonnt ab.
»Nein«, erwiderte sie energisch.
»Trotzdem habe ich noch den Wunsch, mir den Wiederwahlspeicher Ihres Telefons anzusehen.«
Sie stand auf, ging kurz ins Haus und kam ein paar Augenblicke später mit einem Telefon in der Hand zurück.
»Hier, bitte, bedienen Sie sich, junger Mann.«
Der Oberkommissar reckte sich hoch, griff nach dem anthrazitfarbenen Gerät und ließ sich wieder zurückfallen.
»Vielen Dank«, sagte er freundlich und begann, sich dem Menü des Mobilteils zu widmen.
»Kannten Sie eigentlich meinen Vater?«, fragte Petra Homberger.
»Wie man sich unter Kollegen kennt, wenn man in verschiedenen Abteilungen arbeitet. Wir sind uns natürlich öfter auf den Fluren des Polizeipräsidiums begegnet, aber einen gemeinsamen Fall oder eine Sonderkommission, die uns beide beschäftigt hätte, gab es nie.«
Sie schnäuzte sich leise.
»Wenn Sie ihn gekannt hätten, wüssten Sie, dass er ein lebenslustiger und guter Mensch gewesen ist, trotz der manchmal widerlichen Dinge, die er in seinem Beruf erlebt hat.«
»Hat er mit Ihnen über das gesprochen, was er erlebt hat?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Nie. Er hat immer dafür gesorgt, dass Mama und ich nichts von seiner Arbeit erfuhren. Dann und wann haben wir natürlich etwas aus der Zeitung erfahren, aber durch ihn persönlich niemals. Das war ihm überaus wichtig.«
In diesem Augenblick betrat ein etwa 35-jähriger Mann die Terrasse. Er stellte sich als Ralf Homberger vor, begrüßte die Polizisten und fügte an, dass er Rechtsanwalt sei. Danach nahm er zuerst Friederike Humpe und anschließend seine Frau tröstend in den Arm.
»Mein Schwiegervater hat sich nicht umgebracht«, belehrte er Lenz, nachdem er sich gesetzt hatte.
Ach, dachte der Hauptkommissar, welch eine überraschende These.
»Das Gleiche«, antwortete er so unaufgeregt wie möglich, »sagen Ihre Schwiegermutter und Ihre Frau auch. Trotzdem müssen wir, der Faktenlage nach, von Suizid ausgehen.«
Hain klappte unterdessen seinen Notizblock zu und reichte der Witwe das Telefon.
»Was haben Sie da gemacht?«, wollte Ralf Homberger wissen, war jedoch mit Hains darauffolgender Erklärung überhaupt nicht einverstanden.
»Ja, was denn nun? Ermitteln Sie oder ermitteln Sie nicht? So geht das nicht, meine Herren!«
»Wir ermitteln nicht«, ließ Lenz ihn wissen und stand auf. »Sollte sich jedoch daran etwas ändern, werden Sie umgehend von uns informiert.«
Damit griff er in die Innentasche seines Sakkos, zog eine Visitenkarte heraus und platzierte sie auf dem Tisch.
»Und wenn Ihnen noch etwas einfällt, was für uns von Bedeutung sein könnte, rufen Sie mich bitte an.«
Hain erhob sich ebenfalls, steckte den kleinen Block weg, nickte allen Beteiligten einen kurzen Abschiedsgruß zu und verließ die Runde. Lenz reichte allen am Tisch die Hand und folgte seinem Kollegen.
»Ich brauche dringend was zu essen«, nölte Hain,
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