Zeitbombe
wieder ein Kollege ums Leben gekommen ist.«
»Nach offizieller Anweisung deines Nachfolgers hat er sich umgebracht, Ludger. Und ich bin der Letzte, der diesem Mann widersprechen würde.«
»Aber du hast doch Zweifel, oder?«
Lenz sah seinen ehemaligen Chef eindringlich an und fragte sich dabei, warum es an diesem Samstag offenbar die ganze Welt darauf anlegte, ihm Zweifel an der Selbstmordtheorie zu entlocken.
»Wenn ich sie hätte, würde ich sie aus diversen Gründen nicht mir dir besprechen, Ludger.«
Brandt senkte den Kopf und spielte nervös mit einem Stück Faden, das aus der Seitennaht seiner Hose ragte.
»Das verstehe ich gut. Aber denk doch auch mal an mich. Immerhin bin ich ein paar Jahre lang sein Kollege gewesen.«
»Aber ihr hattet doch seit ewigen Zeiten gar keinen Kontakt mehr miteinander, oder hab ich da was verpasst?«
»Ja …, nein …«, zierte sich der ehemalige Kriminalrat. »Natürlich hatten wir uns mit den Jahren mehr oder weniger aus den Augen verloren, aber das ändert absolut nichts daran, dass wir mal Kollegen gewesen sind. Oder vielleicht sogar Freunde.«
»Mit Wolfram Humpe konnte man nicht befreundet sein«, verbesserte ihn Thilo Hain, der mit einem Teller in der Hand an Brandt vorbeigeschlendert war und seinen letzten Satz gehört hatte.
»Halt doch einfach mal deinen Mund, Thilo«, fauchte der ehemalige Polizist den Oberkommissar an, der sich gerade wieder auf seinen Platz setzen wollte. Hain sah ihm eine Weile ins Gesicht, stand auf, griff in die Hosentasche und warf einen 10-Euro-Schein auf den Tisch.
»Ich warte am Auto auf dich«, ließ er Lenz wissen, drehte sich um und ging davon.
»War das wirklich notwendig, Ludger?«, fragte der Hauptkommissar.
»Ach, der muss nicht immer den Vorlauten spielen«, gab Brandt eine Spur zu energisch zurück.
Lenz atmete tief durch, bevor er weitersprach.
»Er war weder vorlaut noch irgendwas anderes. Er hat dir einfach nur erklärt, dass man nach seiner Meinung mit Wolfram Humpe nicht befreundet sein konnte, das war alles.«
»Aber das ist doch Quatsch. Klar konnte man mit ihm befreundet sein.«
Lenz schüttelte den Kopf.
»Du weißt, dass das eine Lüge ist. Humpe war auf keiner Weihnachtsfeier, er hat an keinem Betriebsausflug teilgenommen, und er hat sich privat nie mit einem Kollegen getroffen. Sein Eremitendasein war legendär, Ludger. Ich zum Beispiel wusste bis vor ein paar Stunden noch nicht mal, wo er zu Hause ist. Wusstest du es?«
Brandts Antwort bestand aus beredtem Schweigen.
»Also, jetzt hör auf mit diesem Freundschaftsgeseiere und erzähl mir, worum es dir wirklich geht. Was ist so interessant an Humpes Tod, dass du dich mit uns hier in der Stadt triffst, obwohl du mit deinen Enkelkindern am See sein könntest?«
»Es gibt keinen anderen Grund, Paul«, lenkte Brandt kleinlaut ein. »Ich habe mir einfach Gedanken gemacht, auch, weil zwei Polizisten innerhalb von 14 Tagen an der gleichen Stelle gestorben sind.«
»Die beiden haben sich umgebracht. Tragisch, aber nicht zu ändern.«
»Und du zweifelst wirklich nicht ein bisschen an der Selbstmordversion?«
Nun wurde es Lenz zu blöd. Er stand auf, legte einen Geldschein neben den von Hain und sah seinen ehemaligen Vorgesetzten dabei wütend an.
»Du bist im Ruhestand, Ludger, also benimm dich gefälligst auch so. Thilo und ich müssen weiterhin unseren Job machen und haben dabei genug mit deinem Nachfolger zu kämpfen, der alles andere als einfach ist im Umgang. Was wir aber auf jeden Fall nicht gebrauchen können, ist ein Rentner, der glaubt, auch nach seinem Abgang aus dem Dienst noch das große Rad drehen zu können. Und jetzt mach’s gut.«
Damit wandte er sich von dem völlig verdutzten Brandt ab und wollte davongehen, überlegte es sich jedoch anders und beugte sich noch einmal zu Brandt hinunter.
»Wie ich schon gesagt habe, kaufe ich dir die Nummer mit dem alten Kumpel nicht ab, Ludger. Und solange du mir nicht erzählst, warum du wirklich an der Sache interessiert bist, kannst du mir gepflegt den Buckel runterrutschen.«
»Paul, warte!«, rief Brandt ihm hinterher, doch Lenz wollte nicht mehr reden. Mit hochrotem Kopf stürmte er an den Tischreihen vorbei, stieß die Tür des Restaurants auf und erreichte zwei Minuten später die Tiefgarage, wo Thilo Hain quer zur Fahrtrichtung in seinem offenen Auto saß. Seine Füße lugten über die Beifahrertür, und er lauschte der wegen des schlechten Empfangs tief unter der Erde verrauschten
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