Zeitbombe
noch nicht aus der Narkose erwacht und lag auf der Intensivstation, wo er von zwei Uniformierten bewacht wurde.
Nun saß Lenz müde und erschöpft auf dem roten Sofa ihres Wohnzimmers im Stadtteil Wilhelmshöhe. Kurz zuvor war der Mitarbeiter des Schlüsseldienstes abgedampft, der das Schloss der Wohnungseingangstür gewechselt und dafür die stolze Summe von 421,70 Euro aufgerufen hatte. Der junge Mann hatte, weil der Polizist nicht über so viel Bargeld verfügte, extra seinen Chef aus dem Bett geworfen und nachgefragt, ob er im Fall des Kripomannes eine Ausnahme von der strikten Anweisung machen dürfe, den Ort seines jeweiligen Einsatzes ausschließlich mit Bargeld in der Tasche zu verlassen. Nachdem der Unternehmer zugestimmt hatte, war alles ganz schnell gegangen. Das alte Schloss zu entfernen und das neue einzubauen, hatte keine fünf Minuten gedauert, dann hatte sich Lenz mit einer gesalzenen Rechnung und drei neuen Schlüsseln in der Hand allein im Flur wiedergefunden.
Während er noch mit auf dem Wohnzimmertisch ruhenden Beinen überlegte, wieder zu Maria ins Krankenhaus zu fahren und sich an ihr Bett zu setzen, fielen ihm die Augen zu.
In einem wüsten Traum wurde er von Erich Zeislinger angeschrien und beschuldigt, ihm die Frau ausgespannt zu haben.
Warum, fragte er sich während des überaus real wirkenden Schlaferlebnisses, regt der sich so darüber auf?
Erstens hat er recht damit, und zweitens ist das doch schon so lange her, dass es eigentlich keinen Arsch mehr interessiert.
Zeislinger baute sich nun drohend vor ihm auf und schrie wieder auf ihn ein, doch seine Worte klangen wie das Rasseln einer Klingel. Lenz sah ihm lachend bei seiner Tirade zu und wollte gerade etwas erwidern, als er mit einem mächtigen Zucken aufschreckte. Das Klingeln hatte merkwürdigerweise nach dem Erwachen nicht aufgehört.
Der Polizist rieb sich die Augen und versuchte dabei, die virtuelle Welt des Traumes von der Realität abzugrenzen, was ihm allerdings nur ansatzweise gelang. Dann jedoch wurde ihm schlagartig klar, dass nicht Erich Zeislinger der Verursacher des rasselnden Klingeltones war, sondern eine frühe Straßenbahn, die mit diesem barbarischen Ton vermutlich versuchte, ein die Schienen blockierendes Auto direkt in die Stratosphäre zu jagen.
Zwei doppelte Espressi und eine ausgiebige Dusche später schlüpfte er in eine leichte Sommerhose, zog sich ein legeres Leinenhemd an und verließ die Wohnung.
Das Verkehrsaufkommen an diesem Sonntagmorgen hielt sich in sehr engen Grenzen, sodass er schon zehn Minuten später in das Parkhaus des Klinikums einfuhr und seinen Wagen dort abstellte. Eigentlich wollte er zuerst bei Maria vorbeischauen, überlegte es sich jedoch anders, als er die Halle durchquerte. Mit energischen Schritten stapfte er auf einen der beiden Fahrstühle zu, drückte auf den Anforderungsknopf, wartete, bis sich die Edelstahltüren auseinandergeschoben hatten, und betrat den Lift. Obwohl er dabei schlucken musste, stellte er sich nach der Etagenwahl nicht mit dem Blick Richtung hintere Wand, sondern positionierte sich so, dass er genau in die Kabine sehen konnte. Als es losging, musste er leicht grinsen.
Na also, geht doch.
Nach dieser kurzen, zu seiner vollen Zufriedenheit verlaufenen Exposition stand er kurze Zeit später vor der Tür zur Intensivstation. Dort meldete er sich an und wurde zu den beiden Kollegen vorgelassen, die vor dem Zimmer des verletzten Mannes Wache saßen.
»Kein schlechter Job für einen heißen Sommersonntag«, begrüßte Lenz sie freundlich.
»Das kann nur jemand sagen«, erwiderte der junge Polizist links von der Tür forsch, »der schon lange keine Uniform mehr getragen und keinen Schichtdienst geleistet hat.«
Sein älterer Kollege auf der anderen Seite der Tür sah auf, verzog das Gesicht und warf ihm einen warnenden Blick zu.
»Stimmt, Herr Kollege«, gab Lenz lachend zurück. »Aber ich kann mich noch sehr gut an die Zeit erinnern, in der ich eine Uniform getragen und mir die Sonntage auf dem Frankfurter Flughafengelände um die Ohren geschlagen habe. Dagegen ist dieser Auftrag hier doch wirklich nicht zu verachten.«
»Womit jetzt Sie richtig liegen.«
Nach ein paar weiteren Höflichkeitsfloskeln kam Lenz zum Grund seines Besuches.
»Wie geht es unserem Patienten?«
Der junge Beamte zog die Schultern hoch.
»Wie es aussieht, hat es ihn gar nicht so schlimm erwischt, wie im ersten Moment angenommen. Das sagt zumindest die Schwester, die gerade zu
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