Zeitbombe
dessen Farbe sein Gesicht noch fahler und eingefallener wirken ließ.
»Hallo, Paul«, begrüßte er seinen ehemaligen Mitarbeiter mit erstaunlich kräftiger Stimme und wies auf einen Stuhl, der vor der Spiegelkommode stand.
»Setz dich doch.«
Lenz nahm das Angebot an und zog sich den leichten Holzstuhl heran. Nachdem Brandt sich ein wenig zu seiner Erkrankung geäußert hatte, brachte er sein Erstaunen über Lenz’ Auftauchen zum Ausdruck.
»Ich habe nicht erwartet, dich so schnell wiederzusehen«, meinte er.
»Aha«, machte Lenz. »Warum das denn?«
»Na ja, ich habe gedacht, ihr hättet erst mal damit zu tun, den Russen zu suchen und so.«
»Ja, das hatten wir auch. Aber die Sache ist schon erledigt.«
Der ehemalige Polizist riss die Augen auf.
»Ihr habt ihn? Und, hat er was damit zu tun, wie ich es dir prophezeit habe?«
»Er ist tot, Ludger«, erwiderte der Hauptkommissar kühl.
»Wie – tot? Wann ist er denn gestorben?«
Lenz ließ sich bewusst lange Zeit, bevor er antwortete.
»Er ist letzte Nacht gestorben. Durch die Kugel eines Polizisten.«
Dann schilderte Lenz seinem ehemaligen Boss den nächtlichen Einsatz in Espenau in allen Details.
»Wir hatten keine Chance. Wir mussten gezielt auf ihn schießen, sonst hätte er uns umgebracht«, beendete er seine Erklärungen.
»Klar, das sehe ich genauso, Paul. Da ist weder dir noch Thilo irgendein Vorwurf zu machen. Mir war ja schon immer klar, dass der Kerl ein Monster ist, das über Leichen geht.«
Er machte ein trauriges Gesicht.
»Nur schade, dass sich die Morde an den beiden Kollegen nun vermutlich nicht mehr aufklären lassen werden. Weil er ja tot ist«, fügte er bedauernd hinzu.
Lenz sah sich in dem Schlafzimmer des Ehepaares Brandt um, das er vorher noch nie betreten hatte. Ein Doppelbett in Nussbaum, ein deckenhoher Wandschrank in Nussbaum und eine Spiegelkommode, natürlich auch in Nussbaum. Die Vorhänge in Himmelblau wollten nach Lenz’ Meinung so gar nicht dazu passen, aber darüber konnte man bestimmt veritabel streiten.
»Hör auf damit, Ludger«, erwiderte er völlig ruhig.
Brandt sah ihn irritiert an.
»Womit soll ich aufhören? Was meinst du?«
»Du sollst aufhören, mich weiterhin zum Affen machen zu wollen. Du sollst aufhören, mir diese gequirlte Scheiße von dem Russen zu erzählen, der Schneider und Humpe auf dem Gewissen hat, weil sie ihn in den Knast gebracht haben. Hör einfach auf damit und fang an, mir die Wahrheit zu erzählen.«
»Aber Paul, ich habe keine Ah…«
»Schluss damit, Ludger!«, fuhr Lenz mehr als energisch dazwischen. »Der Russe hat mit den Morden nicht das Geringste zu tun, und das weißt du auch ganz genau. Ich will im Augenblick gar nicht davon reden, dass Thilo und ich wegen deiner Märchen fast von diesem Irren um die Ecke gebracht worden wären, das kommt später. Im Moment interessiert mich ausschließlich, warum du dir diese Geschichte aus den Fingern gesogen hast. Worum geht es wirklich bei der ganzen Sache, und warum mussten die beiden Kollegen sterben?«
Brandt war den Worten von Lenz mit versteinerter Miene gefolgt.
»Du verrennst dich da in was, Paul. Der Russe hatte ein Motiv, und er hatte die Möglichkeiten. Also, was sollte deiner Meinung nach der Ausführung im Weg gestanden haben? Hat er als letzte Worte seine Tatbeteiligung abgestritten?«
»So in etwa, ja.«
Nun wich schlagartig auch noch der letzte Rest von Farbe aus Brandts Gesicht.
»Wie? Du hast mir doch eben erzählt, er hätte nichts mehr gesagt, bevor er gestorben ist.«
»Das hat er auch nicht. Aber trotzdem war er nicht an den Morden beteiligt. Zumindest an diesen beiden nicht. Er war es nicht, weil er es nicht gewesen sein konnte.«
Brandt schluckte deutlich sichtbar, was bei Lenz nur den Verdacht erhärtete, dass sein ehemaliger Chef ihm etwas vorenthielt.
»Was, zum Teufel, macht dich da so ungemein sicher?«, blaffte Brandt ihn an.
»Roman Arkadjew wäre nicht mal in der Lage gewesen, eine Einkaufstüte nach Hause zu schleppen, geschweige denn, einen erwachsenen Mann am Eingang zum Rengershausener Tunnel auf die Gleise zu wuchten. Seine Wirbelsäule war dermaßen kaputt, dass ihm damit die Ausführung dieser Morde schlicht und einfach nicht gelungen wäre.«
Nun fing Ludger Brandt hysterisch an zu lachen.
»Und woher hast du diese wirklich interessante These? Welches Vögelchen hat dir diesen, nach meiner unmaßgeblichen Meinung natürlich, hanebüchenen Unsinn gezwitschert?«
Lenz, der größte
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