Zeitbombe
Luchs.«
»Mach dir keine Sorgen«, wiegelte Lenz ab. »Der kommt vermutlich schneller wieder auf die Beine, als du gucken kannst.«
»Irma?«, kam es nun noch lauter und fordernder von oben.
»Ja, es ist ja gut, Ludger!«, rief sie. »Wir haben Besuch bekommen.«
»Wer ist es denn?«
»Paul. Paul Lenz ist gekommen.«
Damit drehte sie sich wieder zu ihrem Besucher.
»Der Arzt hat mir ganz ausdrücklich eingeschärft, dass er sich bloß nicht aufregen soll. Bitte, Paul, halt dich daran und reg ihn auf keinen Fall auf.«
Das kann ich dir aber so was von nicht versprechen, dachte Lenz, seine Antwort hörte sich jedoch völlig anders an.
»Ich werde dran denken, Irma. Keine Aufregung. Versprochen.«
»Kommst du hoch, Paul, oder soll ich mich erst die Treppe runterquälen?«, wollte Brandt aus dem Obergeschoss wissen.
»Geh schon«, schob seine Frau den Kommissar in Richtung der Treppe.
21
»Schön, dass Sie Zeit für mich haben, Herr Minister«, bemerkte der Kasseler Oberbürgermeister Erich Zeislinger mit jener devoten Haltung, die er vermeintlich über ihm stehenden Personen stets entgegenbrachte.
Der Justizminister des Landes Hessen streckte die Hand nach vorn und bat den Besucher in sein Arbeitszimmer. Nachdem die beiden saßen und von einer Sekretärin mit Kaffee versorgt worden waren, sah der Minister den OB fragend an.
»Nun, Herr Zeislinger, was verschafft mir die Ehre Ihres Besuches? Was gibt es so Wichtiges, dass Sie die lange Reise nach Wiesbaden auf sich nehmen, anstatt einfach zum Telefonhörer zu greifen und mich anzurufen, wie Ihre Kollegen aus anderen Städten das machen?«
In der Frage war eine deutliche und keinesfalls positive Wertung versteckt, die Zeislinger jedoch nicht auffiel.
»Natürlich hätte ich Sie einfach anrufen können, aber das wäre der Bedeutung meines Anliegens einfach nicht gerecht geworden, Herr Gockel. Immerhin geht es um ein sehr delikates Thema.«
»Ach so, ein sehr delikates Thema«, erwiderte Jens-Ulrich Gockel, der natürlich genau wusste, warum Zeislinger ihm seine Aufwartung machte. »Um was für ein Thema geht es denn genau?«
»Es geht um die Anstalt, nicht, für die unser schönes Kassel leider als Standort im Gespräch ist. Diese Anstalt für die Sicherungsverwahrten.«
»Aber da ist doch noch gar keine Entscheidung gefallen, Herr Zeislinger. Wir haben ein Denkmodell durchdekliniert, bei dem, das will ich unumwunden einräumen, auch der Standort Kassel eine Rolle gespielt hat. Was allerdings noch lange nicht bedeutet, dass Kassel tatsächlich als Standort dieser Einrichtung ausgewählt wird.«
»Ich weiß Ihre Offenheit durchaus zu schätzen, nicht, Herr Minister, deshalb will ich Ihnen mit der gleichen Offenheit gegenübertreten.«
Zeislinger war nervös, sehr nervös, was sich gut daran festmachen ließ, dass er immer wieder und an den unmöglichsten Stellen in seine Sätze ein ›nicht‹ einbaute. Diese Marotte wurde er, so massiv er sich auch bemühte, einfach nicht los.
»Mir wurde von einem Mitarbeiter aus einem anderen Ministerium mitgeteilt, dass in der letzten Kabinettssitzung quasi beschlossen wurde, diese Anstalt in der Nähe der Strafanstalt Kassel zu bauen. Und ich bin hier, um Ihnen mein Unbehagen darüber deutlich zum Ausdruck zu bringen.«
»Aber, aber, Herr Zeislinger«, entgegnete Gockel jovial. »Über das, was Ihnen ein Dritter aus einer Kabinettssitzung weitergibt, verkneife ich mir jetzt mal jeglichen Kommentar. Allerdings«, fuhr er mit leicht errötetem Gesicht fort, »muss ich schon sagen, dass solch ein Verhalten jede, aber auch wirklich jede Geschmacksgrenze nach unten durchbricht. Und es ist mir wirklich schleierhaft, wie dabei ein solcher Unsinn herauskommen kann, denn ich versichere Ihnen, dass es den von Ihnen angesprochenen Beschluss definitiv nicht gibt. Es gibt ihn einfach nicht!«
Mit seinem letzten Satz hatte der Minister die Stimme deutlich erhoben. Zeislinger, dessen Informant über jeden Zweifel erhaben war, hob entschuldigend die Arme.
»Ich wollte Sie natürlich nicht verärgern, Herr Gockel, nicht, das wäre das Letzte, was ich wollte. Allerdings bin ich mir wirklich nicht sicher, ob ich Ihnen diese Einlassung zu einhundert Prozent glauben kann.«
Gockel, der dem kleineren Koalitionspartner in der bürgerlichen hessischen Koalition angehörte, also kein Parteifreund von Zeislinger war, schnappte nach Luft.
»Was fällt Ihnen ein? Sind Sie von allen guten Geistern verlassen, mich in meinem eigenen
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