Zeitbombe
Büro der Lüge zu bezichtigen?«
»Ich bezichtige Sie nicht der Lüge. Ich habe lediglich zu bedenken gegeben, dass Sie, aus welchen Gründen auch immer, nicht alles sagen können oder möchten, was Sie wissen. Und ich weiß nun einmal leider sehr genau, nicht, dass Sie diese Anstalt um jeden Preis in Kassel bauen lassen wollen.«
Jens-Ulrich Gockel, der die Einrichtung ohne jede Frage in Kassel sehen wollte, ließ sich in seinen Stuhl zurückfallen und machte dabei ein zerknirschtes Gesicht.
»Sie sind ein harter Hund, Herr Zeislinger«, bemerkte er mit etwas zu deutlicher Anerkennung, »aber es geht natürlich nicht, dass Sie in mein Büro schneien und mich wie einen dummen Schuljungen behandeln wollen. Und Sie müssen mir einfach glauben, wenn ich Ihnen sage, dass wir noch keine Entscheidung bezüglich des Neubaus der Einrichtung für die Sicherungsverwahrten getroffen haben. Noch einmal, Kassel ist als Standort im Gespräch, aber eben als ein möglicher Standort unter mehreren.«
Zeislinger nahm die Erklärung seines Gegenübers ohne jegliche Regung zur Kenntnis.
»Ich will jetzt nicht darauf herumreiten, dass Sie auch in Kassel geboren sind, Herr Minister, aber es ist schon erstaunlich, dass die großen Infrastrukturmaßnahmen und die Investitionen, die Arbeitsplätze bringen, fast ausschließlich in Südhessen geplant und realisiert werden. Wir in …«
»Moment, Herr Zeislinger, das ist doch einfach nicht wahr. Die Landesregierung investiert über 200 Millionen in den Ausbau des Flughafens Kassel-Calden, das können doch auch Sie nicht einfach mit einem Federstrich wegdiskutieren.«
Zeislinger holte tief Luft.
»Hören Sie doch mit diesem Blödsinn auf; diesen Schmus können Sie den Wählern erzählen, aber nicht mir. Wir wissen beide, dass Calden sich niemals rechnen wird, aber das ist ja auch gar nicht gewollt. Und von Ihren 200 Millionen hat nicht eine Baufirma aus unserer Region etwas, weil das Geld an Unternehmen geht, die, sagen wir mal so, über gute Verbindungen zur aktuellen und ehemaligen Politik verfügen. Zu jener Politik natürlich, die in Südhessen und für Südhessen gemacht wird.«
»Jetzt werden Sie aber ungerecht, Herr Zeislinger. Immerhin kann die aktuelle Regierung nicht dafür verantwortlich gemacht werden, wenn ein ehemaliger Ministerpräsident in die Privatwirtschaft wechselt. Und warum.«
»Er ist zu genau jenem Baukonzern gewechselt, der sich den Löwenanteil an den Ausbauarbeiten in Calden sichern will.«
Gockel legte genervt die Stirn in Falten.
»Das Thema könnte uns sicher noch Tage beschäftigen, Herr Oberbürgermeister, aber Sie kamen ja aus einem ganz anderen Grund zu mir.«
»Ja, das stimmt«, erwiderte Zeislinger, nun offen verärgert. »Und ich sage Ihnen jetzt ganz deutlich und in aller Offenheit, nicht, dass wir diese Anstalt in Kassel nicht haben wollen und sie auch nicht vor die Nase gesetzt kriegen werden. Wenn Sie dieses Ding durchzusetzen versuchen, werden Sie auf den erbittertsten Widerstand stoßen, den Sie sich vorstellen können. Wir haben es nämlich satt, nicht, dass jede x-beliebige unpopuläre Maßnahme in Kassel oder seiner Umgegend realisiert wird, während Wiesbaden und der Rhein-Main-Raum sich die Rosinen herauspicken. Die Vergewaltiger und Kinderschänder sollen nach Kassel, während sich Südhessen Kunst und Kultur gönnt.«
Gockel nahm einen Schluck Kaffee.
»Mein lieber Herr Oberbürgermeister Zeislinger, ich bitte Sie erstens um Mäßigung«, gab er mit einem verstohlenen Blick auf seine Armbanduhr zurück, »und ich versichere Ihnen zweitens noch einmal, dass zu der Realisierung der Einrichtung in Kassel nicht das letzte Wort gesprochen ist.«
Er erhob sich langsam.
»Und jetzt muss ich leider darum bitten, zum Ende zu kommen, weil mein nächster Termin schon in den Startlöchern sitzt.«
Mit diesen salbungsvollen Worten kam er um den Schreibtisch herum und streckte dem völlig verdutzten Zeislinger die Hand entgegen.
»Sie werden sehen, Herr Oberbürgermeister, das wird schon alles in Ordnung kommen. Aber jetzt …«
Damit wies er auf die Tür.
Etwa zehn Sekunden, nachdem Zeislinger das Zimmer verlassen hatte, drückte er auf einen Knopf der Telefonanlage und nahm den Hörer ab.
»Gitti«, erklärte er seiner Sekretärin, »ich brauche sofort eine Verbindung zum Ministerpräsidenten.«
22
Ludger Brandt sah wirklich mitgenommen aus. Er lag auf der rechten Seite des Doppelbetts und trug einen hellblauen Schlafanzug,
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