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Zeitbombe

Titel: Zeitbombe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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Abenteuer und Spiel. Sein Freund Jockel hatte ihn aufgezogen und ihn einen Feigling geschimpft, der sich nicht trauen würde, mit dem Ohr auf den Gleisen nach der Bahn zu hören. Sie hatten genau gewusst, wann die pfeifende und stinkende Dampflok an dem kleinen Bahnübergang ankommen würde, weil man sie auf Kilometer die weit geschwungenen Serpentinen heraufkommen sah.
    Ach, du traust dich eh wieder nicht, hatte Jockel ihn aufgezogen, doch an diesem Sommertag hatte er nicht mehr gekniffen. Er hatte den Hals lang gemacht und ins Tal geschaut, sich genau angesehen, wo die Bahn fuhr, war danach mit einer schnellen Bewegung auf die Knie gesunken und hatte mit schief gelegtem Kopf das Ohr auf das Gleis gedrückt, um jedoch im selben Augenblick den ganzen Oberkörper hochzureißen und entsetzt und mit weit aufgerissenen Augen in jene Richtung zu schauen, aus der er den Zug erwartete.
    Siehst, hatte der Jockel gefeixt, du traust dich halt doch nicht.
    Der junge Franz war völlig von dem lauten, kreischenden und unendlich nah erscheinenden Klangteppich überrascht worden, den sein Ohr beim Kontakt mit dem Bahngleis wahrgenommen hatte.
    Nachdem er sich erneut vergewissert hatte, dass der Zug noch mindestens vier oder fünf Minuten brauchen würde, bis er bei ihnen angekommen war, bewegte er sich wieder in die Horizontale und legte den Kopf erneut auf das kalte Metall der Schiene. Und diesmal zuckte er nicht zurück.
    Er zitterte zwar dabei, doch er lauschte für mindestens eine ganze Minute dem Ächzen und Stöhnen und Wimmern, das die herannahende Lok mit ihren angehängten Wagen auslöste.
    Dann war er wie von der Tarantel gestochen hochgesprungen und hatte sich hinter einem Holzstapel in Sicherheit gebracht. Von diesem Tag an hatte der Jockel ihn nie mehr damit aufgezogen, dass er sich nicht trauen würde, der heranbrausenden Bahn zuzuhören.
     
    Nun lag er wieder auf einem Bahngleis, doch diesmal war es weder ein kindliches Spiel noch war es ein Abenteuer, dem er aus eigenem Antrieb ausweichen konnte. Diesmal, das wusste er, war es blanker Ernst. Diesmal ging es um Leben und Tod. Um sein Leben, um seinen Tod.
    Jetzt nahm er wahr, dass seine Beine bewegt wurden. Jemand, vermutlich der Mann, der vorher mit ihm gesprochen hatte, zog seinen Körper gerade, was zur Folge hatte, dass auch der Bereich um seine rechte Wade sich schlagartig kalt anfühlte. Dann knirschte wieder der Schotter des Bahndamms. Zwick bemerkte, dass er schlucken wollte, doch auch das war ihm nicht möglich.
    Warum funktioniert das alles plötzlich nicht mehr?, hätte er zu gern geschrien.
    »Normalerweise bietet man Menschen in Ihrer Lage eine Zigarette an«, hörte er die Männerstimme sagen, »doch das wäre in Ihrem Fall nicht richtig. Wir sollten gemeinsam darauf achten, dass Ihre Atmung funktioniert.«
    Nun fielen die Gedanken im Kopf des Polizisten durcheinander wie die farbigen Glassteinchen in einem Kaleidoskop.
    Er dachte an Norbert Schneider und Wolfram Humpe. Zu gern hätte er gewusst, ob die beiden in der gleichen Haltung dagelegen hatten, bevor sie …
    Nein, bitte nicht, wollte er wieder und wieder schreien, immer allerdings mit dem bekannten Ergebnis. Es gelang ihm nicht.
    Doch, jetzt! Der animalische, gepresste Ton, den er ausgestoßen hatte, klang in seinen Ohren wie der Beginn eines neuen Lebens, wie die Auferstehung von den Toten.
    »Leben Sie wohl, Herr Zwick!«, wurde seine für eine Nanosekunde aufkeimende Hoffnung von der Stimme aus dem Off brutal im Keim erstickt, deren dazugehörige Schritte sich langsam entfernten.
    Nein, wollte er hinterherbrüllen, doch wieder verließ nur ein kehliger, unverständlicher Laut seinen Hals. Allerdings bemerkte er, dass ihm das Atmen etwas leichter fiel als noch ein paar Augenblicke zuvor.
    Die Wirkung dieses verdammten Mittels lässt nach, schoss es ihm durch den Kopf, aber auch die sich daran anknüpfende Hoffnung wurde durch das Anschwellen der Geräusche in seinem rechten Ohr mit aberwitziger Geschwindigkeit zunichte gemacht.
    Ich muss mich bewegen!
    Langsam, überaus langsam, und nur unter Aufbietung aller seiner Kräfte gelang es ihm nun, seine beiden Augenlider zu heben, doch was er, immer noch leicht verschwommen, wahrnahm, versetzte ihm den nächsten Schock. Er blickte auf eine Tunnelöffnung, ähnlich der, an der sowohl Schneider als auch Humpe gestorben waren.
    Und das unheilvolle Geräusch, das an sein rechtes Ohr drang, wurde immer lauter.
    Ich will noch nicht sterben, jagte ihm

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